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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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gegen sein Schienbein. Sie knöpfte seine Weste auf und schmiegte ihr Gesicht an ihn.
    »Hör mal«, sagte Lucile. »Ich möchte dich was fragen – versprichst du mir, ehrlich zu antworten?«
    »Natürlich.«
    »Ganz egal, was es ist?«
    Biff strich über Babys weiches Goldhaar und legte sanft seine Hand an ihre Schläfe. »Natürlich.«
    »Das war vor sieben Jahren. Kurz nachdem wir das erste Mal geheiratet haben. Da kam er abends aus deinem Lokal, den Kopf voll dicker Beulen, und sagte, du hättest ihn beim Kragen gepackt und mit dem Kopf gegen die Wand gebumst. Er erzählte irgendeine Geschichte dazu, aber ich möcht wissen, was der richtige Grund war.«
    Biff drehte den Trauring an seinem Finger. »Ich hab Leroy nie leiden können, da haben wir uns eben geprügelt. Damals war ich noch anders als heute.«
    »Nein. Du hast das wegen einer bestimmten Sache getan. Wir kennen uns schon ’ne ganze Weile, da weiß ich allmählich, dass alles, was du machst, einen Grund hat. Du brauchst immer einen Grund, so funktioniert dein Kopf nun mal. Also, du hast versprochen, mir zu sagen, was es war, und ich will es wissen.«
    »Das tut doch jetzt nichts mehr zur Sache.«
    »Ich sag dir doch, ich muss es wissen.«
    »Na gut«, sagte Biff. »Er kam abends ins Lokal und fing an zu trinken, und als er betrunken war, schwang er große Reden über dich: Etwa einmal im Monat prügle er dich beim Nachhausekommen windelweich, und du ließest dir das gefallen. Danach gingst du dann auf den Flur und lachtest ein paarmal laut, damit die Nachbarn dächten, ihr beide hättet bloß so rumgetobt und alles wäre Spaß gewesen. Das war’s, und nun denk nicht mehr daran.«
    Lucile saß sehr gerade da, und auf ihren Wangen zeigten sich zwei rote Flecken. »Siehst du, Bartholomew, darum muss ich die ganze Zeit mit Scheuklappen leben und darf nicht zurückschauen oder zur Seite. Ich darf nichts weiter im Kopf haben, als dass ich jeden Tag zur Arbeit gehn und hier zu Hause drei Mahlzeiten richten muss und Babys Karriere.«
    »Ja.«
    »Ich hoffe, du machst das auch so und fängst nicht an zurückzudenken.«
    Biff ließ den Kopf auf die Brust sinken und schloss die Augen. Während dieses ganzen langen Tages hatte er nicht an Alice denken können. Wenn er sich an ihr Gesicht zu erinnern suchte, war eine merkwürdige Leere in ihm. Das Einzige an ihr, das ihm deutlich vor Augen stand, waren ihre Füße: rundlich, sehr weich und weiß, mit kleinen dicken Zehen. Die Fußsohlen waren rosa, und an der linken Ferse hatte sie einen winzigen braunen Leberfleck. In ihrer Hochzeitsnacht hatte er ihr die Schuhe und Strümpfe ausgezogen und ihre Füße geküsst. Und das war, fiel ihm ein, recht bemerkenswert, denn die Japaner glauben, der edelste Körperteil der Frau…
    Biff schreckte auf und sah auf die Uhr. Bald mussten sie zur Kirche, wo die Trauerfeier stattfand. In Gedanken ließ er die ganze Zeremonie ablaufen. Die Kirche – die Fahrt mit Lucile und Baby im Schritttempo hinter dem Leichenwagen, die Trauernden, die mit gesenkten Köpfen im Oktobersonnenschein standen. Sonne auf den weißen Grabsteinen, auf den welkenden Blumen und auf dem Tuch über dem frisch ausgehobenen Grab. Dann wieder nach Hause – und was dann?
    »Wenn man sich auch oft gezankt hat – ist doch was Besonderes an der leiblichen Schwester«, sagte Lucile.
    Biff hob den Kopf. »Warum heiratest du nicht wieder? Einen netten jungen Mann, der noch nicht verheiratet war und für dich und Baby sorgt? Wenn du nur diesen Leroy vergessen könntest, du wärst eine prächtige Frau für einen guten Mann.«
    Lucile zögerte mit der Antwort. Endlich sagte sie: »Du weißt ja, wie wir beide miteinander sind – wir verstehn uns fast immer ziemlich gut, ohne dass man irgendwie Herzklopfen dabei kriegt. Enger möcht ich nie wieder mit einem Mann zusammen sein.«
    »Geht mir auch so«, sagte Biff.
    Eine halbe Stunde später klopfte es: Der Wagen für die Trauerfeier war vorgefahren. Biff und Lucile standen langsam auf. Dann gingen sie zu dritt, Baby im weißen Seidenkleid voran, in feierlichem Schweigen hinaus.
    Biffs Restaurant blieb noch den nächsten Tag über geschlossen. Am frühen Abend nahm er den verwelkten Lilienkranz von der Tür und machte das Lokal wieder auf. Die Stammgäste kamen mit Trauermienen zur Registrierkasse und unterhielten sich ein paar Minuten mit ihm, bevor sie ihre Bestellungen aufgaben. Es war die übliche Besetzung: Singer, Blount und einige Männer, die in den Läden

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