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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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hab bloß einen Einzigen kennengelernt – so ’n schäbiger kleiner Enthaltsamkeitsapostel war das, und aus dem Mund stinken tat er auch. Mit dem hab ich mich geprügelt. Nicht dass ich darum was gegen alle Kommunisten hätte. Die Hauptsache ist: Ich halte nicht viel von Stalin und von Russland. Ich hasse all die verdammten Staaten und Regierungen. Trotzdem – vielleicht sollte ich mich den Kommunisten erst mal anschließen. Ich kann mich nicht entscheiden. Was meinst du?«
    Singer runzelte die Stirn und überlegte. Er griff nach seinem silbernen Bleistift und schrieb auf seinen Block, er wisse es auch nicht.
    »Aber sieh mal, das ist doch so: Wir können’s doch nicht einfach dabei belassen, dass wir Wissende sind – wir müssen handeln. Manche von uns treibt das in den Wahnsinn. Es ist so viel zu tun; man weiß gar nicht, wie und wo man anfangen soll. Das macht einen ganz verrückt. Sogar ich – wenn ich an manches denke, was ich so gemacht hab, dann versteh ich’s heut nicht mehr. Einmal hab ich selber ’ne Organisation gegründet. Ich hab mir zwanzig Arbeiter gesucht, auf die hab ich so lang eingeredet, bis ich dachte, nun wüssten sie! ›Aktion‹ war unser Losungswort. Ja! Wir wollten für richtigen Aufruhr sorgen, wir wollten all die großen Missstände aufdecken. Unser wichtigstes Ziel war die Freiheit – aber die wahre Freiheit, eine große Freiheit, die’s nur geben kann, wenn der Mensch in seiner Seele spürt, dass Gerechtigkeit herrscht. Unser Losungswort war ›Aktion‹ – das hieß, Ausrottung des Kapitalismus. In unseren Statuten (ich habe sie selber verfasst) hieß es in mehreren Paragraphen, sobald wir’s geschafft hätten, sollte unser Losungswort nicht mehr ›Aktion‹ heißen, sondern ›Freiheit‹.«
    Jake spitzte ein Streichholz an und stocherte damit in einem schmerzenden hohlen Zahn. Dann redete er weiter:
    »Als die Statuten niedergeschrieben und die ersten Anhänger gewonnen waren – da fuhr ich per Anhalter los, um noch mehr Ortsgruppen zu organisieren. Nach drei Monaten kam ich zurück, und was meinst du, was passiert war? Was war ihre erste Heldentat? Hatten sie in ihrer gerechten Wut die Planung über den Haufen geschmissen? Hatten sie ohne mich losgeschlagen? Fand ich Zerstörung, Mord, Revolution?«
    Jake beugte sich auf seinem Stuhl vor. Nach einer Pause sagte er düster:
    »Mein Freund, sie hatten die Kasse von siebenundfünfzig Dollar und dreißig Cent geklaut, um sich Uniformmützen zu kaufen und jeden Samstagabend fein auszugehen. Als ich ankam, saßen sie um den Verhandlungstisch, die Mützen auf dem Kopf, bei Schinken und ’ner Gallone Gin und würfelten.«
    Singer beantwortete Jakes Lachanfall mit einem schüchternen Lächeln. Nach einer Weile wurde dieses Lächeln gezwungen und erstarb. Jake lachte immer weiter. Die Ader auf seiner Stirn schwoll an, sein Gesicht war dunkelrot. Er lachte zu lange.
    Singer warf einen Blick auf die Uhr: halb eins. Er nahm seine Taschenuhr, den silbernen Bleistift und den Block, zehn Zigaretten und Streichhölzer vom Kamin und steckte alles in seine Taschen. Es war Essenszeit.
    Aber Jake lachte immer noch. Dieses Lachen hatte etwas Manisches. Er ging im Zimmer auf und ab und klimperte mit dem Kleingeld in den Taschen. Verkrampft und unbeholfen fuchtelte er mit seinen langen, mächtigen Armen herum. Er begann die einzelnen Gänge der nächsten Mahlzeit aufzuzählen. Wenn er vom Essen sprach, bekam sein Gesicht einen leidenschaftlich-genießerischen Ausdruck. Bei jedem Wort zog er die Oberlippe hoch wie ein gieriges Raubtier.
    »Saftiges Roastbeef. Reis. Kohl und Weißbrot. Und ein dickes Stück Apfelkuchen. Ich bin am Verhungern. Oh, Johnny, ich bin wirklich ausgehungert. Und wenn wir schon vom Essen reden, mein Freund: Hab ich dir mal von Clark Patterson erzählt, dem Besitzer der Sunny Dixie Show? Der ist so dick, dass er sein Ding seit zwanzig Jahren nicht gesehen hat. Den ganzen Tag sitzt er in seinem Wohnwagen, legt Patiencen und raucht Haschisch. Das Essen lässt er sich immer von ’nem Schnellrestaurant in der Nähe bringen, und zum Frühstück isst er jeden Tag…«
    Jake trat zurück, um Singer durch die Tür zu lassen. Er ließ dem Taubstummen immer den Vortritt. Während sie die Treppe hinuntergingen, schwatzte er hektisch weiter, die großen braunen Augen auf Singers Gesicht geheftet.
    Nachmittags war es warm und mild. Sie blieben im Haus. Jake hatte einen Liter Whisky mitgebracht. Schweigsam und grübelnd saß er am

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