Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Hause. Das Haus, in dem er wohnte, bestand aus vier Zimmern, und jedes Zimmer kostete einen Dollar fünfzig Miete. Hinten auf dem Gang war ein Abort und auf dem Vorplatz ein Wasserhahn. Wände und Fußboden seines Zimmers rochen muffig säuerlich. Vor dem Fenster hingen billige, verschmutzte Spitzenvorhänge. Er bewahrte seinen guten Anzug im Koffer auf und hatte seinen Overall an einen Nagel gehängt. Es gab weder Heizung noch elektrisches Licht im Zimmer, aber eine Straßenlaterne vor dem Fenster warf ihr grünlich-bleiches Licht herein. Die Petroleumlampe an seinem Bett zündete er nur an, wenn er lesen wollte. Von dem beißenden Geruch des brennenden Öls im kalten Zimmer wurde ihm übel.
Wenn er zu Hause war, ging er ruhelos im Zimmer auf und ab. Er setzte sich auf den Rand des ungemachten Betts und kaute wütend an seinen eingerissenen, schmutzigen Fingernägeln. Der scharfe Geschmack des Schmutzes blieb lang in seinem Mund. Die Einsamkeit in seinem Innern tat so weh, dass es ihn mit Schrecken erfüllte. Meistens hatte er eine Flasche geschmuggelten Gin da. Er trank den starken Schnaps, und gegen Morgen wurde ihm warm, und er entspannte sich. Um fünf Uhr pfiffen die Fabriksirenen zur ersten Schicht. Die Sirenen hatten einen verloren schauerlichen Klang, und er konnte erst einschlafen, wenn sie verstummt waren.
Für gewöhnlich blieb er jedoch nicht zu Hause. Er ging hinaus auf die engen, menschenleeren Straßen. In den ersten dunklen Morgenstunden war der Himmel schwarz und mit grellblitzenden Sternen übersät. Manchmal wurde in den Fabriken gearbeitet. Aus den hell erleuchteten Gebäuden tönte das Stampfen der Maschinen. Er wartete vor den Toren, bis die Frühschicht zu Ende war. Junge Mädchen in Sweatern oder bedruckten Kleidern traten auf die dunkle Straße heraus. Die Männer kamen mit ihrem Essgeschirr. Manche machten auf dem Heimweg bei der Imbissstube halt, die in einem ausrangierten Straßenbahnwagen untergebracht war, um Coca-Cola oder Kaffee zu trinken, und Jake schloss sich ihnen an. Drinnen, in der lärmigen Fabrik, verstanden die Männer jedes Wort, das gesprochen wurde, aber draußen waren sie danach eine Stunde lang wie taub.
In der Imbissstube trank Jake Coca-Cola mit einem Schuss Whisky. Er redete. Draußen dämmerte ein weißer, dunstiger kalter Wintermorgen. Mit der Eindringlichkeit des Betrunkenen blickte er den Männern in die verhärmten, gelblichen Gesichter. Oft wurde er ausgelacht, dann reckte er seinen zu kurz geratenen Körper und hielt verächtliche, mit vielsilbigen Wörtern gespickte Reden. Er spreizte den kleinen Finger beim Trinken und zwirbelte geziert seinen Schnurrbart. Wenn sie ihn weiter auslachten, fing er manchmal eine Schlägerei an. Wie von Sinnen fuhrwerkte er laut schluchzend mit seinen großen, braunen Fäusten herum.
Nach einem solchen Morgen war es jedes Mal eine Erleichterung, wieder auf dem Rummelplatz zu sein. Es machte ihn ruhig, sich durch die Menschenmassen zu drängeln. Der Lärm, der durchdringende Gestank, das Gefühl menschlicher Körper an seinen Schultern beruhigten seine überreizten Nerven.
Sonntags blieb der Rummelplatz, der gesetzlichen Feiertagsruhe wegen, geschlossen. Dann stand Jake morgens zeitig auf und nahm seinen Serge-Anzug aus dem Koffer. Er ging zur Hauptstraße ins Café New York und kaufte dort ein paar Flaschen Bier. Dann besuchte er Singer. Obgleich er viele Leute in der Stadt vom Sehen oder dem Namen nach kannte, hatte er außer dem Taubstummen keinen Freund. Sie saßen müßig in dem stillen Zimmer und tranken Bier. Er redete, und die Worte entwuchsen wie von selbst den dunklen Morgenstunden, die er auf der Straße oder allein in seinem Zimmer verbracht hatte. Sie formen und aussprechen zu können erleichterte ihn.
Das Feuer war runtergebrannt. Singer saß am Tisch und spielte mit sich selber Schach. Jake hatte geschlafen. Er erwachte mit einem nervösen Ruck. Er hob den Kopf und drehte sich zu Singer um. »Doch«, sagte er, als hätte man ihn eben etwas gefragt. »Manche von uns sind Kommunisten. Aber nicht alle… Ich selber bin auch nicht in der Kommunistischen Partei. Vor allem darum, weil ich bisher bloß einen Einzigen von der Partei kennengelernt hab. Du kannst jahrelang herumziehen und begegnest doch keinem Kommunisten. Hier gibt’s kein Büro, wo man hingehn und sich einschreiben kann, wenigstens hab ich noch nie davon gehört. Und man fährt ja nicht einfach nach New York, um sich einzuschreiben. Wie gesagt: Ich
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