Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
gekommen, und ich will Sie auch nicht ausnehmen. Bartholomew – Mister Brannon – und ich, wir haben das unterwegs besprochen und sind uns über die Hauptpunkte einig. Erstens möchte ich anständig und ehrlich sein, und zweitens will ich nicht, dass Baby in ihrem Alter in ein Gerichtsverfahren verwickelt wird.«
Kein Laut war zu hören, alle saßen steif auf ihren Stühlen. Nur Mister Brannon lächelte Mick verstohlen zu, aber sie sah ihn frech aus zusammengekniffenen Augen an.
Mrs. Wilson war sehr nervös; ihre Hand zitterte, als sie sich eine Zigarette anzündete. »Ich will Sie nicht ausnehmen oder so. Ich verlange von Ihnen bloß, was recht und billig ist. Ich will nicht, dass Sie all die Schmerzen und Tränen bezahlen, durch die Baby hindurchmusste, bis sie ihr was zum Schlafen gegeben haben. Das ist mit Geld nicht zu bezahlen. Ich verlange auch nicht, dass Sie den Schaden für ihre Karriere und unsere ganzen Pläne bezahlen. Sie wird monatelang mit einem Verband rumlaufen. Sie wird beim Schülerabend nicht tanzen können – vielleicht wird sogar eine kleine kahle Stelle an ihrem Kopf bleiben.«
Mrs. Wilson und ihr Papa starrten einander an, als wären sie hypnotisiert. Dann griff Mrs. Wilson nach ihrer Handtasche und holte einen Zettel heraus.
»Sie sollen uns nur die tatsächlichen Unkosten erstatten. Das wäre Babys Einzelzimmer im Krankenhaus und eine Privatpflegerin, solange sie dort liegt. Außerdem der Operationssaal und die Arztrechnung – ich will, dass der Arzt sein Geld gleich kriegt. Außerdem haben sie Baby das ganze Haar abrasiert – Sie müssten also die Dauerwelle bezahlen, die ich ihr in Atlanta habe machen lassen, damit sie eine neue kriegt, wenn ihr Haar wieder lang ist. Dann wären da noch ihr Kostüm und andere kleine Unkosten. Ich werde es aufschreiben, sobald ich alles zusammenhabe. Ich versuche, so anständig und so ehrlich wie möglich zu sein, aber diese Unkosten müssen Sie mir schon bezahlen.«
Ihre Mama strich das Kleid über den Knien glatt und atmete einmal rasch ein. »Wäre denn die Kinderabteilung nicht besser als ein Einzelzimmer? Als Mick eine Lungenentzündung gehabt hat…«
»Es ist aber ein Einzelzimmer.«
Mister Brannon hielt seine weißen, kurzen Hände vor sich hin und balancierte sie, als lägen sie auf einer Waage. »Vielleicht könnte Baby in ein oder zwei Tagen in ein Doppelzimmer gehen, mit einem andern Kind.«
Mrs. Wilson war unerbittlich. »Sie haben doch gehört, was ich gesagt habe. Ihr Junge hat mein Baby angeschossen, und ich will, dass sie es so gut wie möglich hat, bis es wieder besser geht.«
»Das ist Ihr gutes Recht«, sagte ihr Papa. »Weiß der Himmel – wir sind mittellos; aber vielleicht kann ich’s irgendwie auftreiben. Ich sehe, dass Sie uns nicht über den Tisch ziehen wollen, und dafür bin ich Ihnen dankbar. Wir tun, was wir können.«
Sie wäre gern geblieben und hätte weiter zugehört, aber der Gedanke an Bubber ließ ihr keine Ruhe. Und als sie sich vorstellte, wie er da im dunklen, kalten Baumhaus saß und an Sing Sing dachte, wurde ihr unbehaglich zumute. Sie ging hinaus, durch die Diele zur Hintertür. Draußen blies der Wind, und der Hof war ganz dunkel – bis auf das gelbe Rechteck des erleuchteten Küchenfensters. Als sie einen Blick hineinwarf, sah sie Portia, die langen, mageren Hände vor dem Gesicht, regungslos am Küchentisch sitzen. Verlassen lag der Hof da, der Wind klagte in der Finsternis, und unheimliche Schatten huschten über die Erde.
Sie stand unter der Eiche. Als sie den untersten Ast ergreifen wollte, kam ihr plötzlich ein furchtbarer Gedanke: Sie wusste, dass Bubber nicht mehr da war. Sie rief nach ihm – er antwortete nicht. Rasch und lautlos wie eine Katze kletterte sie hinauf.
»Du? Bubber?«
Auch ohne herumzutasten, wusste sie, dass er nicht in der Kiste war. Um ganz sicher zu sein, kroch sie in alle Ecken. Der Junge war fort. Gleich nachdem sie fortgegangen war, musste er hinuntergestiegen sein. Bestimmt war er ausgebüchst, und bei einem schlauen Kerl wie Bubber konnte man nicht wissen, wo sie ihn erwischen würden.
Sie ließ sich wieder am Baum hinab und lief auf die Veranda. Mrs. Wilson wollte gerade gehen, und die anderen hatten sie zur Haustür begleitet.
»Papa!«, sagte sie. »Wir müssen was wegen Bubber tun. Er ist weggelaufen. Der ist bestimmt nicht mehr in unserm Block. Wir müssen alle losgehn und ihn suchen.«
Keiner wusste, wohin man gehen oder was man
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