Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Papa.
»Wahrscheinlich ist er irgendwo in der Nähe.«
Ihr Papa wanderte auf und ab, die leere Bierflasche in der Hand. Er ging wie ein Blinder, und sein Gesicht war schweißüberströmt. »Der arme Junge hat Angst, nach Hause zu kommen. Ich wär froh, wenn wir ihn finden würden. Ich hab Bubber noch nie angerührt. Er braucht doch keine Angst vor mir zu haben.«
Sie wollte ihn anderthalb Stunden warten lassen. In der Zeit würde er mächtig bereuen, was er angestellt hatte. Sie war noch immer mit Bubber fertiggeworden, sie würde es ihm schon beibringen.
Nach einer Weile gab es große Aufregung im Haus. Ihr Papa telefonierte noch einmal mit dem Krankenhaus und fragte, wie es Baby ginge, und einige Minuten später rief Mrs. Wilson an: Sie wollte die Eltern sprechen und würde rüberkommen.
Ihr Papa wanderte immer noch wie ein Blinder im Vorderzimmer auf und ab. Er trank noch drei Flaschen Bier. »So wie die Dinge stehen, kann sie mir noch das letzte Hemd wegnehmen. Auch wenn’s nicht viel mehr wäre als das Haus, und da ist ja auch noch die Hypothek. Aber wie sollen wir wieder von vorn anfangen – so, wie die Dinge stehen?«
Plötzlich fiel Mick etwas ein. Vielleicht würde man Bubber wirklich vor Gericht stellen und in ein Jugendgefängnis bringen. Vielleicht würde Mrs. Wilson ihn in die Besserungsanstalt schicken. Vielleicht würden sie wirklich irgendwas Schreckliches mit Bubber machen. Sie musste gleich hinaus zum Baumhaus, musste sich zu ihm setzen und ihm sagen, dass er keine Angst haben solle. Bubber war so schmächtig und klein und so gescheit. Sie hätte jeden umgebracht, der den Kleinen von seiner Familie wegholen wollte. Sie wollte ihn küssen und beißen, so sehr liebte sie ihn. Aber sie durfte hier nichts verpassen. In wenigen Minuten würde Mrs. Wilson da sein, und sie musste wissen, was daraus wurde. Danach würde sie zu Bubber laufen und ihm sagen, dass alles gelogen war, was sie vorhin gesagt hatte. Dann hätte er seine Lektion gelernt.
Ein Taxi fuhr vor. Alle standen reglos und ängstlich auf der Veranda und warteten. Mrs. Wilson und Mister Brannon stiegen aus dem Taxi. Als sie die Stufen heraufkamen, hörte sie, wie ihr Papa vor Nervosität mit den Zähnen knirschte. Sie gingen ins Vorderzimmer; sie folgte ihnen und blieb an der Tür stehen. Etta, Hazel, Bill und die Mieter blieben draußen.
»Ich bin gekommen, um alles mit Ihnen zu besprechen«, sagte Mrs. Wilson.
Das Vorderzimmer war unordentlich und schmutzig, und sie merkte, dass das Mister Brannon nicht entging. Die eingedrückte Zelluloidpuppe, Perlen und anderer Kram, mit dem Ralph gespielt hatte, lagen auf dem Fußboden herum. Auf Papas Werkbank war eine Bierlache, und die Kissen auf dem Bett, wo ihr Papa und ihre Mama schliefen, sahen ziemlich grau aus.
Mrs. Wilson schob immer noch ihren Trauring auf ihrem Finger rauf und runter. Mister Brannon saß ganz gelassen neben ihr. Er hatte die Beine übergeschlagen. Seine Kinnbacken waren bläulich-schwarz, er sah aus wie ein Gangster in einem Film. Der hatte immer etwas gegen sie gehabt. Wenn er mit ihr sprach, war seine Stimme ganz rauh, ganz anders als bei andern Leuten. Vielleicht wusste er, dass sie und Bubber einmal ein Päckchen Kaugummi von seiner Theke geklaut hatten. Sie hasste ihn.
»Der Tatbestand ist kurz gesagt der«, sagte Mrs. Wilson, »Ihr Junge hat meinem Baby absichtlich in den Kopf geschossen.«
Mick trat in die Mitte des Zimmer. »Nein, das hat er nicht getan«, sagte sie. »Ich war dabei. Bubber hat mit dem Gewehr auf mich und Ralph und überhaupt auf alles gezielt. Sein Finger ist zufällig abgerutscht, als er grad auf Baby zielte. Ich war ja dabei.«
Mister Brannon rieb sich die Nase und sah sie traurig an. Wie sie ihn hasste!
»Ich kann mir denken, wie das für Sie alle ist – also möchte ich gleich zur Sache kommen.«
Micks Mama klimperte mit dem Schlüsselbund. Ihr Papa saß unbeweglich da, die großen Hände schlaff auf den Knien.
»Bubber hat das nicht gewollt«, sagte Mick. »Er hat doch bloß…«
Mrs. Wilson schob den Ring an ihrem Finger rauf und runter. »Einen Augenblick! Ich weiß Bescheid. Ich könnte Sie verklagen und Sie um Ihren letzten Cent bringen.«
Ihr Papa hatte einen völlig leeren Gesichtsausdruck. »Ich will Ihnen was sagen«, erklärte er. »Wir haben nicht viel, worum Sie uns bringen können. Alles, was wir haben…«
»Hören Sie zu«, sagte Mrs. Wilson. »Ich bin nicht mit einem Rechtsanwalt
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