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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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ruhig. Die Sonne war hinter den Hausdächern verschwunden, und der Himmel hatte sich im Westen purpurn und rosa gefärbt. Man hörte die Kinder aus der Nachbarschaft Rollschuh laufen. Bubber lehnte sich an einen Baum und versank in Träumereien. Aus dem Haus kam der Duft des Abendessens; bald war es wohl Zeit.
    »Guck mal«, sagte Bubber plötzlich. »Da kommt Baby zurück. Zu hübsch sieht sie aus in ihrem rosa Kostüm.«
    Baby kam langsam auf sie zu. Sie hatte eine Tüte Popcorn in der Hand und suchte nach dem Spielzeug, das darin versteckt war. Sie kam ebenso zierlich angetrippelt wie vorhin. Sie wusste ganz genau, dass alle sie anschauten.
    »Bitte, Baby…«, sagte Bubber, als sie an ihnen vorübergehen wollte. »Ich würd so gern mal dein rosa Handtäschchen sehn und dein rosa Kostüm anfassen.«
    Baby trällerte vor sich hin und tat, als hörte sie nicht. Sie ging an ihnen vorbei, und Bubber konnte nicht mit ihr spielen. Sie zog nur den Kopf ein und grinste ihn an.
    Bubber hielt immer noch das große Gewehr auf der Schulter. Er rief laut »Peng!« und tat, als schösse er. Dann rief er noch einmal – mit sanfter, trauriger Stimme, als locke er ein Kätzchen: »Bitte, Baby… Komm doch her, Baby…«
    Es ging zu schnell – Mick konnte ihn nicht aufhalten. Sie sah seinen Finger am Abzug, und schon hörte man das schreckliche ›Peng!‹. Baby brach auf dem Gehsteig zusammen. Sie lag dort wie festgenagelt, unfähig zu schreien oder sich zu rühren. Spareribs hielt den Arm vors Gesicht.
    Nur Bubber hatte nichts begriffen. »Steh auf, Baby«, rief er. »Ich bin dir doch nicht böse.«
    Alles passierte in Sekundenschnelle. Sie kamen alle drei gleichzeitig bei Baby an. Sie lag gekrümmt auf dem Gehsteig. Der Rock war ihr über den Kopf geflogen, so dass man ihren rosa Schlüpfer und die weißen Beinchen sah. Sie hielt die Hände geöffnet: In einer lag das Spielzeug aus der Popcorn-Tüte, mit der anderen hielt sie ihr Täschchen. Ihre Haarschleife und ihre blonden Locken waren blutüberströmt. Der Schuss war in den Kopf gegangen. Sie lag mit dem Gesicht nach unten.
    So viel passierte in dieser einen Sekunde. Bubber schrie auf, ließ das Gewehr fallen und rannte davon. Sie stand da, die Hände vors Gesicht geschlagen, und schrie. Dann waren da viele Leute. Ihr Papa war der Erste. Er trug Baby ins Haus.
    »Sie ist tot«, sagte Spareribs. »Er hat ihr durch die Augen geschossen. Ich habe ihr Gesicht gesehn.«
    Mick ging auf dem Gehsteig auf und ab. Sie wollte fragen, ob Baby wirklich tot sei, aber sie brachte kein Wort heraus. Mrs.   Wilson wurde aus ihrem Schönheitssalon gerufen und kam über die Straße gestürzt. Sie ging ins Haus und kam wieder heraus. Sie lief auf der Straße hin und her, weinte und schob ihren Ring am Finger rauf und runter, rauf und runter. Dann kam der Unfallwagen, und der Arzt ging zu Baby hinein. Mick folgte ihm. Baby lag im Vorderzimmer auf dem Bett. Im Haus war es still wie in einer Kirche.
    Baby lag wie eine hübsche kleine Puppe auf dem Bett. Außer dem Blut am Kopf schien sie keine Verletzung zu haben. Der Arzt beugte sich über sie und untersuchte ihren Kopf. Als er fertig war, wurde Baby auf einer Bahre hinausgetragen. Mrs.   Wilson und Papa fuhren im Unfallwagen mit.
    Im Haus war es noch ganz still. Keiner dachte an Bubber. Er war nirgends zu sehen. Eine Stunde verging, Mama, Hazel, Etta und die Mieter saßen wartend im Vorderzimmer. Mister Singer stand an der Haustür. Nach einer langen Zeit kam ihr Papa zurück. Er sagte, Baby werde nicht sterben, sie habe aber einen Schädelbruch. Er fragte nach Bubber. Keiner wusste, wo er war. Draußen war es dunkel geworden. Sie riefen im Hinterhof und auf der Straße nach Bubber. Mick schickte Spareribs und ein paar andere Jungs auf die Suche. Aber Bubber schien aus der Nachbarschaft verschwunden. Harry ging zu einer Familie, zu der er vielleicht gegangen sein konnte.
    Ihr Papa wanderte auf der Veranda auf und ab. »Noch nie hab ich eins von meinen Kindern geschlagen«, sagte er immer wieder. »Ich hab das nie richtig gefunden. Aber diesen Bengel verhau ich, wenn ich ihn in die Finger krieg.«
    Mick saß auf dem Geländer und blickte die dunkle Straße hinab.
    »Ich werd schon mit Bubber fertig. Wenn er wieder da ist, nehm ich ihn mir vor.«
    »Ja, geh du ihn suchen. Du findest ihn eher als alle andern.«
    Kaum hatte ihr Papa das gesagt, wusste sie auf einmal, wo Bubber war. Im Hinterhof stand eine dicke Eiche, auf der sie sich im Sommer

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