Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
musste vorher vorbeikommen und sich in das Gästebuch auf dem Tisch in der Diele eintragen oder durch einen Freund eintragen lassen. Die Beutel lagen in einem großen Haufen auf dem Fußboden: etwa vierzig Stück in verschiedenen Größen, den Bedürfnissen des Empfängers entsprechend. Da gab es kleinere mit Nüssen und Rosinen, aber auch schwere Pakete, die ein Einzelner kaum heben konnte. Die ganze Küche war voller guter Dinge. Doktor Copeland stand an der Tür, und seine Nasenflügel bebten vor Stolz.
»Ich finde, in diesem Jahr hast du eine Menge zusammengebracht. Die Leute waren wirklich großzügig.«
»Pah«, sagte er. »Das ist noch nicht ein Hundertstel von dem, was notwendig wäre.«
»Ach, Vater, ich kenn dich doch. Ich weiß genau, wie du dich freust. Du willst es bloß nicht zeigen. Musst immer was zum Murren finden. Hier sind vier große Beutel Erbsen, zwanzig Sack Mehl, ungefähr fünfzehn Pfund Rippenfleisch, Fische, sechs Dutzend Eier, massenhaft Hafergrütze und Dosen mit Tomaten und Pfirsichen. Dann die Äpfel und zwei Dutzend Orangen. Außerdem die Kleidungsstücke. Und zwei Matratzen und vier Wolldecken. Das ist doch was!«
»Ein Tropfen auf den heißen Stein.«
Portia deutete auf einen großen Karton in der Ecke. »Das da – was willst du damit machen?«
Der Karton enthielt nur alten Trödel: eine Puppe ohne Kopf, ein Stück schmuddelige Spitze, ein Kaninchenfell. Doktor Copeland musterte jeden Gegenstand. »Wirf nichts weg. Wir können alles gebrauchen. Das sind die Gaben der Gäste, die nichts Besseres beisteuern können. Ich werde schon Verwendung dafür finden.«
»Dann sieh doch vielleicht die Kartons und Tüten durch, damit ich sie zumachen kann. Ist bald kein Platz mehr hier in der Küche. Die kommen gleich, um etwas zu essen. Ich tu die Sachen auf die Hintertreppe und in den Hof.«
Die Morgensonne war aufgegangen. Es würde ein klarer kalter Tag zu werden. In der Küche duftete es köstlich. Auf dem Herd stand eine Topf Kaffee, und ein ganzes Bord im Küchenschrank war gefüllt mit Zuckerkuchen.
»Und die weißen Leute haben gar nichts gegeben. Nur die Farbigen.«
»Nein«, sagte Doktor Copeland. »Das stimmt nicht ganz. Mr. Singer hat für den Kauf von Kohlen einen Scheck über zwölf Dollar gestiftet. Ich habe ihn dazugeladen.«
»Du meine Güte!«, sagte Portia. »Zwölf Dollar!«
»Es war nur richtig, ihn dazuzubitten. Er ist nicht wie die anderen Kaukasier.«
»Hast recht«, sagte Portia. »Ich muss immer noch an meinen Willie denken. Wenn er doch bei dem Fest dabei sein könnte! Und wenn ich doch einen Brief von ihm bekommen würde! Das quält mich schlimm. Aber jetzt müssen wir aufhören zu reden und uns fertigmachen. Die Leute können jeden Augenblick kommen.«
Sie hatten noch reichlich Zeit. Doktor Copeland wusch sich und kleidete sich sorgfältig an. Dann ging er im Kopf die Rede durch, die er vor den Gästen halten wollte. Aber er war zu unruhig, um sich zu konzentrieren. Um zehn Uhr kamen die ersten Gäste, und eine halbe Stunde später waren alle versammelt.
»Alles Gute und frohes Fest!«, sagte der Briefträger John Roberts. Die eine Schulter etwas hochgezogen, schob er sich strahlend durch das überfüllte Zimmer und tupfte sein Gesicht mit einem weißen Seidentaschentuch ab.
»Gesegnete Weihnacht!«
Vor dem Haus drängten sich die Gäste. Sie blockierten den Eingang und standen zu mehreren auf der Veranda und im Hof. Es gab kein Drängeln, keine Grobheiten; bei allem Durcheinander ging es gesittet zu. Freunde begrüßten einander, Fremde wurden miteinander bekannt gemacht und tauschten einen Händedruck. Die Kinder und jungen Leute zogen sich gemeinsam in die Küche zurück.
»Frohe Weihnachten!«
Doktor Copeland stand mitten im Vorderzimmer neben dem Weihnachtsbaum. Ihm war schwindlig. Verwirrt schüttelte er Hände und erwiderte Grüße. Persönliche Geschenke – manche säuberlich mit Bändchen verschnürt, andere in Zeitungspapier gewickelt – wurden ihm in die Hand gedrückt. Er fand keinen Platz, um sie abzulegen. Die Luft wurde immer dicker, die Stimmen immer lauter. Die Gesichter drehten sich um ihn, so dass er niemanden erkannte. Nach und nach gewann er seine Fassung wieder. Er fand einen Platz, wo er die Geschenke ablegen konnte. Der Schwindel ließ nach, das Zimmer schwankte nicht mehr. Er rückte seine Brille zurecht und sah sich um.
»Fröhliche Weihnachten! Fröhliche Weihnachten!«
Der Apotheker Marshall Nicolls stand im
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