Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
um überleben zu können, für etwas Unnützes verkaufen müssen. Sie werden euch abweisen, und ihr werdet aufgeben. Der junge Chemiker pflückt Baumwolle. Der junge Schriftsteller hat nicht die Möglichkeit, lesen zu lernen. Der Lehrer steht am Bügelbrett. Wir haben keine Vertreter bei der Regierung. Wir haben kein Stimmrecht. Unter allen Menschen dieses großen Landes werden wir am stärksten unterdrückt. Wir können unsere Stimme nicht erheben. Die Zunge verfault uns im Munde, weil wir sie nicht gebrauchen dürfen. Unsere Herzen werden leer und verlieren die Kraft, für unser Ziel zu wirken.
Menschen der Negerrasse! Wir tragen alle Reichtümer in uns. Wir haben die kostbarsten Gaben zu bieten. Aber das, was wir bieten, wird verächtlich zurückgestoßen. Unsere Gaben werden mit Füßen getreten. Wir werden für unnützere Arbeiten gebraucht als die Tiere. Neger! Wir müssen uns erheben und wieder ganze Menschen werden! Wir müssen frei werden!«
Ein Murmeln lief durch das Zimmer. Die Zuhörer begannen hysterisch zu werden. Doktor Copeland ballte die Fäuste; ihm war, als würde er ersticken. Er fühlte sich zu gigantischer Größe emporgewachsen. Die Liebe in seiner Brust trieb ihn an wie ein Motor, er hätte gern laut geschrien, damit die ganze Stadt ihn hörte. Am liebsten hätte er sich auf den Boden geworfen und mit Donnerstimme gebrüllt. Überall im Zimmer wurden stöhnende Rufe laut.
»Rette uns!«
»Allmächtiger Gott! Führe uns aus dieser Wüste des Todes!«
»Halleluja, Herr errette uns!«
Er rang um Fassung. Er rang und hatte sich schließlich wieder unter Kontrolle. Er erstickte das Brüllen in sich und suchte seine eigentliche, starke Stimme wiederzugewinnen.
»Hört mir zu!«, rief er. »Wir wollen uns selbst erretten. Aber nicht durch Klagegebete. Nicht durch Trägheit oder Schnaps. Nicht durch fleischliche Lust oder durch Unwissenheit. Nicht durch Unterwerfung und Demut. Nein – durch Stolz. Durch Würde. Dadurch, dass wir hart und stark werden. Wir müssen Kraft sammeln für das eine große, wahre Ziel.«
Er brach plötzlich ab und stand sehr aufrecht da. »Jedes Jahr um diese Zeit befolgen wir auf unsere Weise im Kleinen das erste Gebot von Karl Marx. Jeder von euch hat vor unserem Treffen ein Geschenk gebracht. Viele haben so auf Annehmlichkeiten verzichtet, um die Not anderer zu lindern. Jeder von euch hat nach seinen Möglichkeiten gegeben, ohne daran zu denken, was er dafür erhalten wird. Für uns ist es selbstverständlich, miteinander zu teilen. Wir haben längst erkannt, dass Geben seliger ist denn Nehmen. Die Worte von Karl Marx sind uns schon lange ins Herz geschrieben: ›Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.‹«
Doktor Copeland schwieg lange, als wäre seine Rede beendet. Dann begann er wieder zu sprechen:
»Wir haben die Aufgabe, die Zeit unserer Demütigung mit Kraft und Würde zu überstehen. Wir können nicht stolz genug sein, denn wir wissen, wie kostbar der Geist und die Seele des Menschen sind. Wir müssen für die Ausbildung unserer Kinder sorgen. Wir müssen Opfer bringen, damit sie Wissen erwerben können – um ihrer Würde willen. Denn die Zeit wird kommen. Die Zeit wird kommen, da unser innerer Reichtum nicht mehr verächtlich zurückgestoßen wird. Die Zeit wird kommen, da wir dienen dürfen. Dann werden wir arbeiten, und unsere Arbeit wird nicht unnütz sein. Unsere Aufgabe ist es, mit Kraft und Glauben diese Zeit zu erwarten.«
Er war zu Ende. Händeklatschen, einige stampften laut mit den Füßen auf den Boden und draußen auf die harte Wintererde. Von der Küche wehte der Duft heißen, starken Kaffees herein. John Roberts übernahm die Verteilung der Geschenke und rief die Namen auf den Karten auf. Portia stand am Herd und schöpfte den Kaffee aus dem Topf, während Marshall Nicolls den Kuchen herumreichte. Doktor Copeland ging zwischen seinen Gästen hin und her, und immer wieder bildeten sich Grüppchen um ihn.
Jemand zupfte ihn am Ellenbogen: »Ist das der, nach dem dein Buddy benannt ist?« Er sagte Ja. Lancy Davis verfolgte ihn mit Fragen; er antwortete auf alles mit Ja. Er war trunken vor Freude. Sein Volk aufklären und ermahnen, ihnen den Weg weisen und fühlen, dass er verstanden wurde. Das war das Schönste: die Wahrheit sagen und gehört werden.
»Wir haben uns so gut unterhalten bei Ihrem Fest.«
Er stand auf dem Vorplatz und verabschiedete sich. Immer wieder musste er Hände schütteln. Er lehnte sich schwer
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