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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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ihnen, denn warum sollten die Deutschen noch nach Italien in Urlaub fahren, wenn sie das italienische Flair zu Hause in der Pizzeria nebenan bekamen? Sie fuhren alle nach Spanien, um dort deutsch zu essen. Da hatten sie beides. Das Flair in der Luft und die Heimat im Magen. Eine Sache, die man starkfand, nannte man »affenstark«.
     
    Bo sollte im April in das Wiener Max-Reinhardt-Seminar aufgenommen werden. Beim Vorsprechen attestierten die Prüfer seinem Hamlet eine gewisse Zwielichtigkeit, eine Art seelischen Zwischen-den-Stühlen-Sitzens. Er zog über den Winter in die Landhausstraße und arbeitete wieder als Statist am Landestheater.

 
FÜNFUNDZWANZIG
    Affenstark war zum Beispiel, daß der Vietnamkrieg tatsächlich zu Ende war und daß Heinrich Böll im letzten Herbst den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte. Und die Comics von Robert Crumb waren sogar total affenstark. Nicht affenstark dagegen waren der Tod von Picasso, die Junta in Athen und die neue Mode, alle Möbel braun zu streichen. Was man bisher Party genannt hatte, war jetzt eine »Fete«.
     
    Giovanni hatte sich nun doch eingeschrieben. Für Deutsch. Aber er brach das erste Semester gleich wieder ab, um den Zivildienst in einem Kinderheim im Schwarzwald anzutreten. Dort spielte er an freien Abenden in einer Tanzkapelle, die von »Anneliese« bis »Ohne Hemd und ohne Höschen« alles, was beliebt war, draufhatte.

 
SECHSUNDZWANZIG
    Nixon ging unter im Watergate-Skandal. Eine Sache, die man affenstark fand, nannte man »bärenstark«.

 
SIEBENUNDZWANZIG
    »Saustark.«

 
ACHTUNDZWANZIG
    »Bockstark.«

 
NEUNUNDZWANZIG
    »Heiß.«

 
DREISSIG
    »Scharf.«

 
EINUNDDREISSIG
     
    Eine Sache, die einem nicht gefiel, erzeugte einen »Frust«. Brandt mußte solch einen Frust gehabt haben, als Guillaume aufflog, Salazar bei seinem Sturz, die Autofahrer bei der Ölkrise, die russische Regierung wegen Solschenizyns Nobelpreis und Ruhm, Franco angesichts seines nahenden Todes und jeder Mensch mit Geschmack beim Hören der Musik der Bay City Rollers.

 
ZWEIUNDDREISSIG
    Die RAF entführte Hanns Martin Schleyer. Wenn die Bay City Rollers so was wie die Beatles gewesen wären, dann wären die Sweet so was wie die Stones gewesen. Wenn.

 
DREIUNDDREISSIG
    In Stuttgart-Stammheim wuchs ein Riesenbau aus dem Boden. An der Schulmedizin wuchsen die Zweifel, geschürt von Hackethal. Bei den Sozialarbeitern wuchs der Frust über die Verhältnisse, und bei den Außenseitern wuchs der Drogenkonsum. Eine Sache, die man scharf fand, nannte man »gierig«.

 
VIERUNDDREISSIG
     
    Rockmusik war inzwischen eine Sache für die unbelehrbare Landjugend geworden. Wer etwas auf sich hielt, bevölkerte die Folk-Festivals in Ingelheim, Mainz und Tübingen. Ulrike Meinhof starb im Gefängnis, Mao Tse-tung im Bett und der Glaube, daß man eine Zukunft habe, in den Köpfen der Idealisten.

 
FÜNFUNDDREISSIG
    Alles wurde immer schlimmer. Stammheim wurde der Bauchnabel Deutschlands, Brok-dorf wurde so was ähnliches wie Ingelheim, aber mehr aufWasserwerfer- als auf Musikebene. Wolf Biermann hörte auf, eine Legende zu sein, und wurde eine reale Person, die sich jetzt hier einmischen wollte. Das hatte manchen gerade noch gefehlt.

 
SECHSUNDDREISSIG
     
    Buback. Ponto. Schleyer. Elvis. Groucho Marx. Ludwig Erhard. Ernst Bloch. Bing Crosby. Elisabeth Flickenschildt. Hans Erich Nossack. Charlie Chaplin. Howard Hawks. Ingrid Schubert, Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Andreas Baader. Arbeitsplätze.

 
SIEBENUNDDREISSIG
    Es gab Punk-Musik, den deutschen Herbst und Günter Wallraff. Dafür gab es Persien nicht mehr und einige Bilder, weil Arnulf Rainer sie nämlich übermalt hatte. Eine Sache, die man gierig fand, nannte man »geil«.

 
ACHTUNDDREISSIG
    Christiane F. - Saturday Night Fever.

 
NEUNUNDDREISSIG
    Apocalypse Now.

 
VIERZIG
    Schnallen, checken, raffen, blicken, geregelt oder auf die Reihe kriegen waren synonyme Neuzugänge im Wörterbuch für die Begriffe kapieren, begreifen, einsehen, bemerken oder durchblicken.
     
    Wenn, so wie jetzt, nur der Tontechniker und Stefan, dessen Freundin und er im Studio waren, mochte Giovanni die Arbeit am liebsten. Die Magie der frühen Morgenstunden, die er eben wieder spürte, war für ihn das Schönste an der Zusammenarbeit mit Stefan.
    Karen schlief auf der Couch. Giovanni hatte sich den Produzentensessel nach hinten gerollt und die Füße aufs Mischpult gelegt. Der Tontechniker saß zusammengesunken am Pult, beachtete

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