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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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nicht einmal die beiden Leuchtanzeigen, die das Eingangssignal von Stefans Mikrofonkanälen nachbildeten und zitternd auf und ab fuhren. Er schien zu schlafen, aber er hörte konzentriert auf jeden Intonationsfehler.
    Eben versang sich Stefan leicht, erwischte den Ton ein bißchen zu hoch. Giovanni wollte dem Techniker sagen, er solle das Band unbedingt weiterlaufen lassen, als dieser schon die Hand auf den Stopknopf fallen ließ und die wunderbar intensive Atmosphäre zerstörte.
    »Scheiße«, schrie Stefan, und Giovanni wußte genau, wie ihm zumute war. Karen wachte auf und streckte sich wie ein Kätzchen.
    »Wie spät?«
    »Viertel vor drei«, sagte Giovanni zu ihr und drückte dann den Knopf, der ihn über die Lautsprecher im Studio mit Stefan verband. »Stefan, tut mir leid. Es war richtig toll. Zum ersten Mal richtig toll. Leider hat Walli der Unbestechliche ’n falschen Ton gehört.«
    »Versuchen wir’s halt noch mal«, sagte Stefan und rückte die Kopfhörer zurecht. »Selbe Stelle.«
    Wieder sang er den Refrain »Mit Linda zu gehn ist nicht leicht, weil sie immer abweicht und um jede Ecke streicht. Mit Linda zu gehn fällt mir schwer, denn sie rennt immer ein Stück vor mir her.«
    Der Text stammte, wie die meisten, die Stefan sang, von Giovanni. Sie hatten sich im Kinderheim kennengelernt, beim Zivildienst vor acht Jahren. Stefan war der bessere Gitarrist, komponierte wunderschöne Melodien, und als sie miteinander spielten, entdeckten sie, daß Giovannis Gedichte sich singen ließen. Angefeuert von der überraschenden Kraft, die seine Worte in Musik entwickelten, schrieb Giovanni einen Text nach dem anderen und staunte, wie schön ein Gedicht sein konnte, wenn es jemand sang. Sein Ziel wurde, das Weinen ohne Augen zu erzeugen, aber sein Talent schien eher in pointierten und witzigen Texten zu liegen. Er und Stefan wurden Freunde, traten nach dem Zivildienst gemeinsam auf und hatten damit stetig wachsenden Erfolg.
    Giovanni, der einerseits den Erfolg genoß, hatte andererseits große Hemmungen, auf der Bühne zu stehen, und nutzte das Vertragsangebot eines Musikverlags an Stefan, um auszusteigen. Dem Verlag war das gerade recht, denn einen Solokünstler konnte man besser verkaufen, und außerdem war Giovanni als Gitarrist nicht gut genug, um in Stefans neugegründeter Begleitband mitzuspielen. Er zog sich zurück, konzentrierte sich aufs Texteschreiben und wurde so etwas wie der Gesangsberater von Stefan. Bei jeder Plattenaufnahme war er dabei, wenn Stefan sang, führte Regie, achtete auf den Ausdruck und versuchte aus Stefans eher eintöniger Stimme Nuancen herauszuholen. Dies war die sechste Langspielplatte, und sie würden vielleicht noch drei Nächte daran arbeiten.
    Gerade warf Stefan enttäuscht die Kopfhörer auf den Boden und kam in den Regieraum, aus dem seit dem rohen Stop des Tontechnikers die Magie verschwunden war. Trotz der roten, blauen und grünen Lämpchen, dem leisen Schmirgelgeräusch der Bandmaschine in den Pausen und Karens erneutem Schlaf.
    Dieser Zustand, der sich anfühlt wie ein Austritt aus der Zeit, in dem man sich vorkommt wie die Besatzung eines Raumschiffs, das jenseits aller Erreichbarkeit durch ein riesengroßes Nichts schwebt, dieser Zustand, den man später noch beim hundertsten Abspielen einer Platte heraushört, war verflogen. Es war, als hätte ein grelles Neonlicht alles Weiche aus den Furchen der Gesichter und ein Schrei alles Geheimnis aus den Tönen der Musik gezerrt.
    Walli, der Toningenieur, warf die Hände in die Luft und sagte: »Aber es war doch falsch. Was soll ich denn machen? Wenn du falsch singen willst, brauch ich nicht aufzupassen.«
    »Ich bin irgendwie keine Maschine«, sagte Stefan wütend. »Ich war endlich mal gut drauf. Das ist wie eine Ohrfeige. Das ist wie ein Tritt in die Eier, wenn dir mitten im Wort das Playback gestoppt wird.«
    »Für gut drauf ist Giovanni zuständig, ich bin für die richtigen Töne da.« Walli nahm seinerseits übel, daß man ihm das Mißlingen anlasten wollte.
    »Er hat recht, ich war zu versunken, tut mir leid«, sagte Giovanni, um den drohenden Streit zu vermeiden. »Wir könnten auch schlafengehn.«
    Sie fuhren in Stefans Volvo zum Hotel und gingen auf ihre Zimmer. Karen, die noch immer halb schlief, winkte Giovanni noch zu, als er seine Tür aufschloß. Stefan sagte über die Schulter: »Ist ja auch kein Drama, ich hätte ihm nur grad eine verpassen können, so sauer war ich.«
    »War aber wirklich meine Schuld.

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