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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Ich hab mich davontragen lassen, anstatt auf Walli aufzupassen«, sagte Giovanni. »Morgen reiß ich mich zusammen.« Und schloß die Tür hinter sich.
    Kamen im Ruhrgebiet. Ein Blick aus dem Fenster auf den Marktplatz vor dem Hotel lohnte nicht, obwohl dies noch der hübscheste Fleck der Stadt war, idyllisch von Repliken alter Gaslaternen beleuchtet. Giovanni ließ die Vorhänge offen und machte kein Licht. Er schenkte sich ein Glas aus der halbvollen Weißweinflasche ein und stellte sich ans Fenster. Lohnend oder nicht, wohin sonst als auf den Marktplatz sollte er schauen? Das Zimmer mit seiner »besseren« Einrichtung, Minibar, Fernsehen und einem Gauguin überm Bett, den er gegen Stefans Renoir getauscht hatte, der braune Sessel, die braune Kofferbank, der braune Einbauschrank und die grasgrüne Tür zum Bad, all das waren keine Dinge zum Ansehen, sondern zum Hinnehmen. Mit Ausnahme des Gauguins natürlich. Lohnend oder nicht, er sah den Marktplatz an.
    Mit Linda zu gehn ist nicht leicht . Ihm schwirrte der Refrain im Kopf herum. Wie so oft, wenn er im Studio war, lag er noch lange wach. Rhythmus und Melodie der immer wieder gehörten Musik hatten sich ins Nervensystem eingebaut, bestimmten seinen Atem und Herzschlag, bewegten seine Finger und Lippen und manchmal sogar die Zehen. Das Radio im Kopf drehte durch.
    Aber diesmal war es nicht allein die Dominanz der hübschen Walzermelodie, die ihn nicht schlafen ließ, es war der Inhalt seines Textes. Natürlich war Linda Laura, und in der Weltferne des Raumschiffs, zwischen dem Zauber der blinkenden Lämpchen, im Moment, da Stefan das Gefühl für den Text gefunden hatte, war ihr Bild mit einer Klarheit auf ihn zugekommen wie in den letzten acht Jahren nicht mehr. Er hatte nicht auf Walli achten können, so sehr war er in diesem überraschenden Dialog mit Laura gefangen gewesen, hatte sie gehen sehen, lachen hören, ihre Hand auf seiner Haut gespürt und bei der Zeile ». rennt immer ein Stück vor mir her« dasselbe leere Gefühl gehabt wie damals.
    Sie hatten »Jules und Jim« gesehen, und angerührt, als wäre ein Schneebesen durch ihre Herzen gegangen, alberten sie auf dem Heimweg herum und spielten sich mögliche Dreiecksgeschichten vor.
    »Ich denke, ich werde es heute mit Fritz machen«, sagte Laura zum Beispiel. »Er hat sein Vorphysikum be standen.«
    »Das ist ungerecht«, nörgelte Giovanni, »ich war extra in der Badewanne. Du hast es vorgestern erst mit Fritz gemacht. Ich bin dran.«
    »Vorgestern? Da hatte ich doch meine Tage.«
    »Um so größer die Sauerei, ich bin dran.«
    »Machen wir’s zu dritt?«
    »Okay, aber nur wenn Fritz nicht mit mir anfängt.«
    »Für Fritz«, sagte Laura in pathetischem Ton, »lege ich meine Hand ins Feuer.«
    »Nimm doch seine«, schlug Giovanni vor. »Ist sogar egal welche. Er hat zwei linke mit zehn Daumen.«
    Noch im Bett ging die Alberei weiter. Sie ließen den fiktiven Fritz noch seinen Freund Arnulf mitbringen, worauf sich Laura weigerte, ihn ins Bett zu nehmen, worauf sich herausstellte, daß Arnulf eine Frau war, worauf sich Giovanni erbot, ausnahmsweise mit ihr zu schlafen, worauf sich herausstellte, daß Arnulf aber eine lesbische Frau war, worauf sich Laura bereit erklärte, worauf sich Fritz und Giovanni in der Küche betranken und auf die Weiber schimpften.
    Als Giovannis Hand über ihren Bauch fuhr, sagte Laura: »Nicht. Heut nicht. Ich wüßte nicht, mit wem ich’s zu tun habe.«
    »Sepp«, murmelte Giovanni, »nenn mich Sepp«, und sie kuschelten sich zum Schlafen aneinander.
    Ein paar Tage nach dem Film tauchte Bo auf und zog in der Landhausstraße ein. Laura begegnete ihm mit freundlicher Ironie, er stichelte zurück, und Giovanni freute sich, ihn da zu haben.
    Nicht lange nach Bos Einzug wachte Giovanni nachts auf und spürte, daß Laura beharrlich seinen Arm streichelte. Nur langsam tauchte er auf, und nur langsam kam ihm zu Bewußtsein, daß Bo mit im Bett lag. Er hatte seinen Kopf auf Lauras Brust und lag mit geschlossenen Augen in ihrem Arm. Als er wach genug war, sah Giovanni, daß Lauras Augen offen und wie studierend auf ihn gerichtet waren.
    »Sollen wir?« fragte sie.
    Giovanni konnte nicht antworten. Er sah zur Decke und lag still, als ließe sich dadurch das Hirngespinst vertreiben. Sein Körper fühlte sich an wie innen hohl, und er spürte nur, daß er nichts spürte. Stumpf, mit wachen Ohren und Augen, die jedes Detail an der halbdunklen, von draußen beleuchteten Zimmerdecke

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