Das Herz ist eine miese Gegend
fremder Körper und begann sich scheu den Frauen, die er mochte, zu nähern. Zwar noch immer ohne Liebe, aber wenigstens mit Freundschaft und Respekt.
Über Jahre konnte er Lauras Weg nur mit Hilfe von Pauls kurzen Berichten verfolgen. Sie blieb wider Erwarten einige Semester bei der Theaterwissenschaft und schloß sich dann einer freien Gruppe an.
Die Möglichkeit, daß sie sich leicht auf einem Festival begegnen oder gemeinsam bei einem Stadtfest oder Theatertreffen engagiert sein könnten, trug zu seinem Entschluß bei, sich von der Bühne zu verabschieden und als Texter in den Hintergrund zu verschwinden. Noch immer war sie die Ikone in seinem Herzen, die nicht in die Realität gehörte. Nach all der Zeit nun wußte er allerdings nicht mehr, ob er ihr deshalb nicht begegnen wollte, weil er fürchtete, die Realität könnte sie kleiner, banaler und weniger anbetungswürdig machen, oder weil er glaubte, sie noch immer so zu lieben, daß nach ihrem erneuten Anblick nichts anderes mehr Gültigkeit besäße.
Paul, der in Südfrankreich geblieben war, schrieb inzwischen Bücher und Gutachten, Briefe jedoch, wie auch Giovanni, immer seltener. Eines Tages aber stand in einem, daß Laura wieder nach Amerika gegangen sei, um dort Cutterin und Regieassistentin zu werden. In Hollywood.
Durch diese räumliche Entfernung wurde ihr Bild in seinem Innern endlich blasser, und Giovanni begann, sich, was die Liebe betraf, mit der Wirklichkeit anzufreunden.
So kam, nach Jahren, der Stich, den er verspürte, wie durch Watte, als Paul ihm schrieb: Sie hat geheiratet, der Mann ist prima, ich hab ihn gern und kann jetzt nicht mehr Dein Komplize sein. Bitte versteh mich, Dein Freund bin ich immer noch, aber ich kann Dir nicht mehr von »unserer« Liebsten berichten, ohne ihn zu hintergehen. Vielleicht meldet sie sich ja mal bei Dir. Wie immer, Dein Paul.
Sie meldete sich nicht. Ebensowenig wie Bo und ebensowenig wie er selbst.
Zwei bescheidene Erfolge Stefans, deren Texte beide von Giovanni stammten, verschafften ihm ein Einkommen, von dem er nicht nur gut lebte, sondern einiges zurücklegen konnte. Und je mehr er sich aus der Musikszene zurückzog, desto anspruchsloser wurde er. Inzwischen schrieb er Artikel, besprach Schallplatten und porträtierte Musiker und Bands für Zeitungen, Fachblätter und Zeitschriften.
Nach und nach baten ihn auch andere Musiker um Texte, und er bot ihnen alles an, was Stefan nicht vertonte. Aber nie hatten sie auch nur annähernd ähnlichen Erfolg. Es war, als ob er und Stefan füreinander geschaffen seien. Stefans trockene, wortbetonte Singweise, seine interessanten Kompositionen und Giovannis manchmal raffiniert einfache Texte schienen einander zu bedingen.
Die ganzen Jahre seit dem Zivildienst wohnte Giovanni in einer Drei-Zimmer-Wohnung am Schloßberg, nahe der Bude, die er damals nach dem Abitur gemietet hatte.
Bald fiel ihm auch auf, daß er nicht mehr jung war. Die Tramper, die er mitnahm, siezten ihn immer öfter, was nicht allein an seinem gebrauchten Mercedes liegen konnte. Es war einfach so, daß jetzt andere jung waren. Andere glaubten an irgendwelche Musiker, drückten ihr Lebensgefühl in Kleidung, Gebaren und Sprache aus, und andere sollten studieren und sich die Fakten auf ihr Frühstücksbrötchen schmieren. Giovanni war jetzt erwachsen. Er war draußen im Leben. Es fand hier in dieser verschlafenen Universitätsstadt genauso statt wie sonstwo, das hatte er in Ruhe nachprüfen können. In Berlin oder Hamburg passierte nicht mehr als zu Hause, nur andere Leute taten dort dasselbe. Im Prinzip jedenfalls.
Ich habe sie alle verloren, Laura, Bo und Ilse, dachte er jetzt, während er den verschlungenen Weg einer torkelnden Gestalt über den Kamener Marktplatz verfolgte. Ilse ist ein Idiot, Bo ein Arschloch und Laura verheiratet. Sicher hat sie schon Kinder und eine Villa in Bel Air, umgibt sich mit Filmgrößen und schmettert die Erinnerung ab mit Sätzen wie »Giovanni who?« oder »I used to know someone with such a name, but I hardly remember that all«. Diese Zeilen würden sich gut singen lassen. Vielleicht, dachte er, sollte ich es mal auf englisch versuchen und hoffen, es geht über den Teich an ihre Ohren. »Giovanni huh, Giovanni huh, huh, huh.« Besser nicht. Keine Chance. Kein Weinen ohne Augen. Und ohne das wär’s verschenkt.
Ihm selber war es in diesen acht Jahren nie wieder begegnet. Ob das an ihm lag oder an der Musik, wußte er nicht. Wollte er nicht wissen. War
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