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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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schwinden. Er war schon fast eingeschlafen, als sie fragte: »Hast du was gehört?«
    »Nein, was?«
    »Es hat nicht geknirscht.«
    Außer Werbung, Zeitungen und uninteressantem Kram lag nichts in der Post. Ilse hatte jeden zweiten Tag den Briefkasten geleert, und nur eine von Karens Pflanzen war eingegangen. Ilse mußte ihnen zuviel Wasser gegeben haben. Und der Wagenlenker fehlte.
    Giovanni erwähnte es nicht, als er anrief, um sich zu bedanken, denn Ilse hatte wieder diese Selbstmordstimme.

 
NEUNUNDVIERZIG
    Der Bundeskanzler erklärte den Israelis, daß er im »Dritten Reich« nichts angestellt habe. Der General erklärte der Öffentlichkeit, daß er in der Schwulenbar weder etwas angestellt habe, noch überhaupt je dort gewesen sei. Der Verteidigungsminister erklärte, es täte ihm leid, aber man hörte seine Zähne dabei knirschen. Der Präsident erklärte, der Russe werde gerade zu Klump geschmissen, und sorgte damitfür Bombenstimmung im Pressekorps. Als es ihm leid tat, knirschte nichts.
     
    Über der Abwicklung von Ilses Konkurs war auch seine Freundschaft mit Udo in die Brüche gegangen. Schon in der folgenden Zivilklage weigerte sich Udo, die Vertretung zu übernehmen. Es war allerdings auch ein Fall, um sich daran die Finger zu verbrennen. Ilse hatte einem Stadtrat, von dem er sich arrogant behandelt fühlte, zwei Makrelen ins Wohnzimmer tapeziert. Der Stadtrat hatte ihm den Auftrag erteilt, die ganze Wohnung zu renovieren, während er mit seiner Familie in Urlaub fuhr. Er hatte gesagt: »Aber keine Handwerkerlaunen bitte«, er wolle die Wohnung picobello wiederfinden und den gesamten Getränkebestand unversehrt. Darüber war Ilse so beleidigt, daß er hinter dem Sofa eine Kuhle in den Gips schlug, zwei frische Makrelen hineinnagelte und dann die Rauhfasertapete darüberklebte. Zuerst war der Stadtrat begeistert von der sauberen Ausführung, deshalb zahlte er prompt und zufrieden. Als er dann
    aber merkte, daß die Hennessyflasche Chantre enthielt und der sechzigjährige Buchanans sich in vierjährigen Racke Rauchzart verwandelt hatte, drohte er Ilse erbost mit dem Richter.
    »Beweisen Sie das mal«, war dessen aufgeräumte Antwort.
    Dem Kammerjäger, der nach einem halben Jahr wegen des unerträglichen Gestanks in der Wohnung hinzugezogen wurde, war der Trick mit den Fischen nicht ganz unbekannt. Er riß, nach einigem Klopfen, triumphierend die Tapete von der Wand, und heraus fielen zwei mumifizierte Makrelen.
    Ilses Vorteil war, daß er seinen Offenbarungseid schon geleistet hatte, und bevor der Richter noch Haft statt der achttausend Mark Strafe anordnen konnte, war er mit Sack und Pack verschwunden. Nach Spanien, wie er Giovanni und Karen anvertraut hatte. Endgültig.
    »Dieses Scheißland hier hat mich gesehen«, waren seine Abschiedsworte gewesen.
    Das Weinen ohne Augen war zurückgekehrt. Aus dem Radio. Giovanni, der nicht mehr befürchten mußte, Stefans akustische Niederlage mitanhören zu müssen, schaltete das Radio wieder häufiger an. Zwar hielt er das Zuhören nie lange aus, denn von der jetzt populären Musik mochte er nur wenig, aber er wollte auf dem laufenden bleiben. Und plötzlich wand sich ein Song um seine Brust und schlang sich um Hals, Kinn und Ohren. »The Boys of Summer«. Giovanni riet, daß der Sänger einer der Eagles sein mußte, und fand die Platte im Laden sofort. Als er den Text verstand, vertiefte sich die Faszination. In dem Lied war Laura. Sie war wieder in ein Lied gegangen, hatte wieder den Glanz der Sonne im Haar und war nicht zu erreichen, war fremd und aus Glas und entrückt. Wie damals in Suzanne.

 
FÜNFZIG
    Affentittengeil.
     
    »Du bist so schön«, sagte Giovanni, als Karen aus dem Bad kam und ihre Nacktheit ihm bewußtmachte, wie warm es im Zimmer war. Das Fenster überzogen Eisblumen.
    »Das klingt traurig«, antwortete Karen. »Früher klang es anders, wenn du das gesagt hast.«
    »Sollte nicht traurig klingen«, sagte Giovanni und hörte seinem Tonfall das Halbherzige an.
    »Nein?«
    »Was ist, wieso bestehst du so drauf?«
    Sie antwortete nicht, zog nur ihren Bademantel an und hauchte auf die Fensterscheibe.
    »Ich will ein Kind«, sagte sie irgendwann.
    Der Hahn im Badezimmer war nicht ganz zugedreht. Jetzt hörte man das Plick-plick stetig fallender Tropfen wie ein böses Metronom. Böse und ungenau, das Tempo schwankte deutlich.
    Es konnten zwei Minuten verstrichen sein oder auch zehn, als Giovanni sich sagen hörte: »Ich aber nicht.«
    »Weiß

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