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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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ich. Weiß ich doch längst.«
    In ihrem Ton war etwas, das ihn nicht erleichtert sein ließ. Sie sprach so fest. So eigentümlich sicher.
    »Warum sagst du’s dann?«
    »Es ist ein Umweg. Ich will ein Kind, du möchtest keins, jedenfalls keines von mir .«
    »Nein, über .«
    »Nicht. Sag nichts, du brauchst die Lügen gar nicht. Was deine Flamme aus den Staaten schreibt, klingt mir nicht sehr platonisch, also müssen deine Briefe entsprechend gewesen sein. Laß uns einfach festhalten, daß du kein Kind mit mir haben willst, ja?«
    »Du hast die Briefe gelesen.« Giovannis Stimme war so leise, daß er seine Worte eher spürte als hörte.
    »Ja.«
    Sie ging, wie sie gekommen war, mit prosaischer Gebärde. Sie küßte den beschämten Giovanni auf den Mund, sagte »Danke für dich« und schaffte ihre Sachen in den Wagen. Ihre Bücher ließ sie da, es waren mehr als dreihundert. Giovanni wollte ihr beim Tragen helfen, aber sie nahm ihm den Karton aus der Hand und sagte: »Das darfst du nicht. Das muß dir dein Stolz verbieten. Oder meiner.«
    Es tat ihm weh, daß sie ging, es tat weh, daß sie von Laura wußte, weh, wie klar sie sprach und daß sie keine Trauer zeigte.
    Als der Motor angelassen war, kurbelte sie das Fenster herunter und sagte: »Wenn ich sicher bin, dann kriegst du die Adresse.« Und schon fahrend rief sie: »Wir werden Brieffreunde.«
    Eine Ohrfeige zum Abschied. Nicht einmal die verhalf ihm zur Wut, denn ihm schien sie gerecht und verdient.
    Es wurde Frühling, bis er die Leere halbwegs akzeptieren lernte. Akzeptieren war der Name, den er selber der Gewöhnung gab.
    Mit Karen war alle Selbstverständlichkeit gegangen. Nichts war mehr richtig oder gut. Die Dinge, ob er sie nun tat, ließ, sah oder dachte, waren falsch. Es war falsch, ein Gedicht zu schreiben, es war falsch, mit Freunden auszugehen, falsch, auf den Bildschirm des Fernsehers zu starren, und falsch, all dies nicht zu tun. Ohnehin meinte er manchmal, imaginäre Schatten von der Wand kratzen zu müssen, Gerüche, deren Ursprung er Karen zuschrieb, auslüften zu müssen, Sätze, die auch Karen hätte gesagt haben können, nicht aussprechen zu dürfen, und das Telefon, dessen Klingeln auch ihr gelten konnte, aus der Wand reißen zu müssen. Er tat nichts von alledem. Er wartete, bis es vorbei war, und fand sich selber staunend über die Größe des Verlustes.
    Im März stand Bo vor der Tür und sagte: »Willst du mir schon wieder nicht verzeihen?«
    »Doch, doch, komm rein. Ich freu mich über dich.«
    »Wo ist die Schöne?« Bo sah sich im Zimmer um.
    »Weg. Wird erwachsen. Weiß von Laura.«
    Bo ging in die Küche und stellte Kaffeewasser auf den Herd. Er klapperte mit den Tassen und klirrte mit den Löffeln, machte Lärm, als verscheuche er Gespenster.
    »Dann hast du ein Zimmer frei?«
    »Wieso?«
    »Ich bin die nächste Spielzeit hier.«
    Nach einer Woche zog er ein. Sein Gepäck waren zwei Koffer und eine Plastiktüte. Tatsächlich war mit seiner Ankunft die Leere aus der Wohnung verschwunden, und Giovanni begann zu arbeiten, als sei er einfach krank gewesen und müsse den Rückstand jetzt aufholen. Und so war es auch.
    Ich schenke Karen ein Buch, dachte er und schrieb wie aufgezogen Blatt für Blatt voll. Noch drohte kein Geldmangel, da er sparsam und die Wohnung billig war.
    Er besetzte die Geschichte mit Ilse und Karen. Aber er selbst war Ilse. Der würde sich auf keinen Fall erkennen, so wie auch Stefan sich sicher nicht erkannt hatte. Es ging nur wieder darum, als Hauptperson keinen Dichter zu haben, der am Ende ein Buch schreibt.

 
EINUNDFÜNFZIG
    Als Bhagwan ins Gefängnis kam, grinsten seine Jünger nur noch breiter. Grinsten noch entspannter im Hier und Jetzt. Noch hierer und noch jetzter. Breit grinste Kohl neben Reagan, und nur kurzfristig setzte das Grinsen beider aus, in Bitburg über den Gräbern. In dem Fernsehfilm »Shoah« grinste ein polnischer Bahnarbeiter, als er der Kamera die Gebärde zeigte, mit der er die Juden in den Zügen kurz vor Treblinka begrüßt hatte. Die Gebärde war die des Halsabschneidens. Keinen, der diesen Film gesehen hatte, konnten das Rattern der Züge und der Anblick von Gleisen, die sich am Horizont zu treffen scheinen, je wieder an Sehnsucht, Fernweh oder Glück erinnern.
     
    Im Juli flog Giovanni mit Bo, der eine Filmrolle bekommen hatte, nach Kreta. Zwar wollte er dort eigentlich soviel wie möglich schreiben, aber die ganze Szenerie des Films nahm ihn gefangen. Bo hatte nichts dagegen,

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