Das Herz kennt die Wahrheit
ausbrach?
"Ahoi, Gryf." Newtons Stimme drang in seine Gedanken. "Such den Jungen und schick ihn unter Deck, damit er Fielding in der Kombüse zur Hand gehen kann."
"Aye, Sir." Gryf machte sich auf die Suche nach Whit und fand ihn, als er gerade hinter Darcy in die Wanten kletterte.
"Schau, Gryf. Der Captain hat mir erlaubt, mit hinaufzuklettern, solange ich aufpasse."
"Verstehe. Das ist gut. Doch jetzt ist nicht die Zeit dazu, Whit. Newton hat dich unter Deck beordert, damit du in der Kombüse aushilfst."
"In der Kombüse?" Der Junge klang entsetzt. "Wie soll ich ein Seemann werden, wenn ich dem Koch helfen muss?"
Darcy hielt inne und sah den Burschen durchdringend an. "Denke an das, was ich dir gesagt habe, Whit. Tue alles, was Newt dir sagt."
"Aber ich …"
"Ohne Widerrede."
Er bemerkte ihren scharfen Tonfall und nickte. "Aye, Captain."
Nur zögernd stieg er zurück aufs Deck und verschwand.
Darcy schaute auf Gryf hinab und spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte, da er sie so merkwürdig ansah. Immer wenn sie merkte, dass er sie in dieser Weise in Augenschein nahm, verspürte sie ein seltsames Kribbeln unter der Haut. Doch dann machte sie sich klar, dass der Mann verletzt war und versuchte, sich zu erholen. Sie würde für jeden anderen in seiner Situation Mitgefühl empfinden.
Ohne über die Worte nachzudenken, rief sie ihm zu: "Wollt Ihr mitkommen?"
Er schüttelte den Kopf. "Ich muss auch meiner Aufgabe nachkommen. Newt braucht jemanden, der unter Deck die Hängematten für die Besatzung anbringt."
Das kommt ihm zupass, dachte sie. Er mochte die Dunkelheit unter Deck viel lieber als die Sonne oben. Den ganzen Tag ließ er sich nicht blicken, während der Rest der Mannschaft sich darum riss, an Deck sein zu können.
Sie nickte. "Dann solltet Ihr das erledigen."
"Aye, Captain."
Während er sich gemächlich entfernte, blickte Darcy ihm noch lange nach. Da war es wieder, dieses unbehagliche Gefühl in der Magengegend beim Anblick der breiten Schultern und schmalen Hüften. Jetzt, da er wie ein richtiger Seemann gekleidet war, wurde seine Ähnlichkeit mit Gray noch stärker hervorgehoben.
Plötzlich merkte sie, dass Newton sie beobachtete. Sie errötete und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Wanten. Doch trotz der Arbeit musste sie unentwegt über Gryf nachdenken, und sie fragte sich, wie er wohl ohne den Hut aussehen mochte, der seine Augen verbarg, und ohne den Bart, der die Hälfte seines Gesichts bedeckte.
Sie konnte nicht anders. Obwohl sie wusste, dass es absolut unmöglich war, wollte sie, dass er wie Gray aussah. Dass er Gray war .
Als sie höher hinaufkletterte, hoffte sie sogar, ein Piratenschiff zu entdecken. Vielleicht wäre ein guter Kampf genau das Richtige, um sie von diesen törichten Gedanken abzulenken und in die raue Wirklichkeit zurückzuholen.
Zu viele Tage mit schlechtem Wetter ließen die Besatzung angespannt und gereizt werden. Heftige Winde hatten das Schiff erfasst, und die sturmgepeitschten Wellen rollten über das Deck, so dass es den Matrosen beinahe unmöglich geworden war, von Backbord nach Steuerbord zu kreuzen, ohne Leib und Leben zu riskieren. Darcy und Newton hatten sich am Steuerrad abgewechselt, damit jeder wenigstens ein paar Stunden schlafen konnte. Wie bei der Mannschaft war auch Darcys Laune auf dem Nullpunkt. Seit Tagen hatte sie nun schon lautstarke Befehle gegeben und sich beim geringsten Missgeschick eines Matrosen fürchterlich aufgeregt.
Schließlich ließ der Sturm nach. Als der Tag sich dem Abend neigte, wurde die See ruhiger. Die Mannschaft war dankbar für diesen Wetterwechsel und begab sich unter Deck, um Karten zu spielen oder sich einfach nur auszuruhen.
"Du bist schon zu lange am Steuer. Leg dich schlafen, Newt." Darcy trat hinter den alten Mann und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Wie ist es mit dir, Mädchen? Du musst genauso müde sein."
"Nein. Ich habe ein wenig geschlafen. Jetzt bist du an der Reihe. Du siehst aus, als könntest du die Ruhe brauchen."
"Aye. Ich werde nicht mit dir streiten. Der Tag war zu lang." Er entfernte sich, und als sie das Steuer auf Kurs hielt, hörte Darcy das gleichmäßige Klopfen seines Holzbeins, während er die Stufen zum Quartier hinabstieg.
Darcy seufzte, da die Dunkelheit sich langsam auf sie herabsenkte. Sie hatte sich auf ein paar ruhige Stunden gefreut, um ihre Seele wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mit ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung hatte sie die Besatzung beinahe in
Weitere Kostenlose Bücher