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Das Herz kennt die Wahrheit

Das Herz kennt die Wahrheit

Titel: Das Herz kennt die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Langan
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zum Ablegen gemacht. Als das Boot an Deck gehievt und der Anker eingeholt wurde, war Darcy schon hoch oben in den Wanten. Weit unter sich sah sie Newton neben Gryf stehen, der das Steuer in der Hand hielt.
    Einen Augenblick lang schloss sie die Augen und beschwor ein Bild von Gray herauf, wie er ihr am Strand entgegenkam, sie lachend in die Arme schloss und sich mit ihr im Kreise drehte, bis er sie wieder auf die Füße zurücksinken ließ und küsste.
    Ihre Liebe war sorgenfrei gewesen. Eine Liebe, die in der Kindheit begonnen hatte und allmählich erblüht war. Immer schon hatten sie gewusst, dass sie füreinander bestimmt waren. Sie waren seelenverwandt. Sie dachten gleich, wollten dieselben Dinge und handelten in vollkommener Harmonie.
    Doch hatte es jemals dieses alles verzehrende Feuer zwischen ihnen gegeben? Diese Hitze und die auflodernde Leidenschaft, die sie verspürte, als Gryf sie berührt hatte?
    Sie konnte sich nicht entsinnen. Auch wenn sie sich noch so sehr anstrengte, vermochte Darcy sich nicht an einen einzigen Augenblick zu erinnern, in dem sie auch nur annähernd das gespürt hatte, was sie in Gryfs Armen fühlte. Bei diesem einen Kuss war die Zeit gleichsam stehen geblieben. Sämtliche Gedanken in ihrem Kopf waren unscharf geworden. Alles, was sie kannte, alles, was sie wollte, war er. Und es beschämte sie, sich einzugestehen, dass sie mehr von sich hatte geben wollen. Hätte Gryf den Kuss nicht beendet, wäre sie gewiss versucht gewesen, sich der Leidenschaft des Augenblicks hinzugeben und im Mondenschein bei ihm zu liegen.
    Ihr entfuhr ein Schluchzer, als sie sich bewusst machte, dass sie in diesem einen Moment mehr für Gryf empfunden hatte als in all den Jahren, in denen sie Gray gekannt und geliebt hatte.
    Trotz der Beteuerungen ihrer unsterblichen Liebe waren sie so rein und so keusch wie Kinder gewesen. Sie hatten sich geküsst. Ja, sie hatten sich geküsst. Und einander berührt. Doch keiner von beiden war einen Schritt weiter gegangen.
    Hatte Gray es gewollt? fragte sie sich. Schließlich war er ein Mann gewesen, sie hingegen noch ein junges Mädchen. Hatte er einfach nur abgewartet, da er wusste, dass sie noch unschuldig war? Oder hatte es ihm, genau wie ihr, an Leidenschaft gefehlt?
    Hatten sie sich selbst nur etwas vorgemacht, indem sie glaubten, eine Freundschaft sei dasselbe wie die Liebe? Waren sie nur deshalb all die Jahre zusammengeblieben, weil keiner den anderen verletzen wollte? Überwältigt von solchen Gedanken, schüttelte sie den Kopf. Es schmerzte sie zu sehr, darüber nachzudenken.
    Sie hatte Gray geliebt. Und er hatte ihre Liebe erwidert. Dass es so wenig Leidenschaft gegeben hatte, hatte eher an ihrem zarten Alter als an ihrer Beziehung gelegen.
    War es nicht so gewesen?
    O Papa. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie schaute zum Himmel hinauf. Ich fühle mich so verloren. So voller Furcht. Ich habe Angst, eine Liebe aufzugeben, die ich mein ganzes Leben kannte. Und nur wegen eines Mannes, der nicht einmal seinen eigenen Namen weiß. Habe ich Liebe für Gray empfunden? Und wenn ja, wie kann ich so schnell nach dem Verlust von Gray dasselbe für einen anderen Mann empfinden? Bin ich oberflächlich und selbstsüchtig, weil ich etwas will, was ich nicht haben dürfte? Bin ich töricht, weil ich hoffe, in Gryfs Armen das zu finden, was ich einst in Grays Armen fand? O Papa. Hilf mir. Bitte, hilf mir.
    War es nur ihre Einbildung, oder hatten sich die Wolken tatsächlich in diesem Augenblick geteilt? Sie sah, wie eine goldene, herrlich strahlende Sonne durch die Wolken brach. Darcy blinzelte, dann verdrängte sie ihre Furcht und blickte auf den Mann, der dort unten am Steuerrad stand.
    Sie wurde allmählich töricht und erlag ihren Trugbildern. Er ist nur irgendein Seemann, rief sie sich in Erinnerung. Ein Mann, den sie angeheuert hatten, weil sie auf dieser Fahrt jeden Matrosen gebrauchen konnten. Auf diesem Schiff war immer noch sie der Kapitän. Auch der Kapitän über ihr eigenes Schicksal. Ihre Zukunft lag nicht in den Sternen oder jenseits der Wolken. Und gewiss nicht in den Händen eines Mannes. Ihre Zukunft war das, was sie gewillt war, daraus zu machen.
    Von jetzt an würde sie ihren Gedanken nicht mehr erlauben, abzuschweifen. Und um sich sicher zu fühlen, würde sie daran denken, Abstand zu dem Mann zu halten, dessen Gegenwart eine tiefe Unruhe in ihr auslöste.

6. Kapitel
     
    "Ich habe das Deck geschrubbt, Newt." Whit wischte sich mit dem Ärmel über

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