Das Herz meines Feindes
Seufzer ließ sie sich dar auf nieder. Etwas war schrecklich falsch, aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, was es war. Früher hatte sie geglaubt, dass Williams Anwesenheit und Corbetts Eifer sucht der Grund waren. Aber Corbett war seit ihrer Abreise aus London merkwürdig abweisend gewesen. Bestimmt konnte man das nicht William anlasten. Und dann war da noch dieser merkwürdige Blick, den Corbett und Dünn mit einander ausgetauscht hatten.
Und was die Geschichte noch schlimmer machte: Wahr scheinlich war sie auch noch krank, denn es mangelte ihr so wohl an Kraft als auch an guter Laune. Es war eine Sache, wenn sie Sir Dünn scharf zurechtwies, denn er stellte ihre Geduld auf eine harte Probe. Aber sie hatte auch den Koch zweimal angefahren, und sogar Magda war Opfer ihrer schlechten Stimmung geworden.
Die einzige, die ihr Frieden bringen konnte, war, wie es schien, die kleine Elyse. Sie hatte das Kind am Mittag im Arm gehalten und gewiegt und war wirklich zufrieden ge wesen, als sie beobachtet hatte, wie das kleine Mädchen unsicher gähnte und dann in ruhigen Schlummer versank. Eine Weile zumindest war die Welt in Ordnung gewesen.
Aber jetzt war William wieder da, und Corbett würde sich gewiss noch mehr von ihr zurückziehen.
Corbett wurde ebenfalls von düsteren Gedanken heimgesucht. Er hatte sein Abendbrot schweigend eingenommen, aber dem Koch kam es nicht so vor, als genieße er das sorg fältig zubereitete Mahl. Als Corbett sich erhob, um sich vom Tisch zu entfernen, bedeutete er den anderen, weiterzuessen. Aber Dünn folgte ihm schnell.
»Wo ist er?« murmelte Corbett, als er die Halle verlassen hatte.
»Der Schnösel hat sich zurückgezogen, um seine Reise kleidung abzulegen«, schnaubte Dünn voller Verachtung.
»Er ist vielleicht ein Schnösel. Aber trotzdem sollte man ihn nicht unterschätzen.« Corbett zögerte, als ob er sich vor dem, was er nun sagen wollte, fürchtete. »In London hat er viele Abende in langen Gesprächen mit Hughe zugebracht.«
Dünn warf Corbett einen scharfen Blick zu, obwohl er nicht wirklich überrascht zu sein schien. Dann fuhr Corbett fort. »Vieles deutet darauf hin, dass William Hughe aufgeses sen ist und nicht umgekehrt, wie ich gehofft hatte.« Als Dünn nicht widersprach, rieb Corbett seine Stirnnarbe, als ob ihn eine plötzliche Erschöpfung befallen habe.
»Sorge dafür, dass William ein Knappe gegeben wird, der für ihn sorgt. Jemanden, der vollkommen vertrauenswürdig ist. Und halte mich über sämtliche ungewöhnlichen Unternehmungen unseres Gastes auf dem laufenden.«
»Wohin gehst du?«
Corbett blickte seinen Mann nur kurz an, dann richtete er seinen Blick auf die engen, schwarzen Stiegen. »Ich denke, ich schulde meiner Gemahlin einen Besuch.«
Elyse im Arm zu halten, war Balsam für ihre Seele, dachte Lilliane. Sie hatte ihr Schlafgemach verlassen und suchte hier eine Atempause von ihren beunruh i genden Gedanken. Jetzt, da sie das warme Baby in den Armen hielt, spürte sie etwas Erleichterung. Wenigstens war hier jemand, den sie mit ihrer Liebe überschütten konnte, ohne befürchten zu müssen, dass sie gegen sie gerichtet würde. Hier war jemand, der sie eben falls lieben würde und der einfach nur durch ihre Gegenwart befriedigt wurde.
Als sie sich auf ein breites Sofa, das mit kostbarer Seide in fernös t lichem Muster bezogen war, niederließ, bedeutete sie Ferga mit einer Handb e wegung zu gehen. »Ich werde dich rufen, wenn ich das Zimmer wieder verlasse. Im Augenblick möchte ich nur die Ruhe genießen.«
Aber sie sollte keine Ruhe finden. Ein paar Minuten, nach dem Ferga gegangen war, wurde Lilliane durch ein Klopfen an der Tür aufg e schreckt. Als William zunächst vorsichtig, dann – als er sie sah – kühn eintrat, konnte sie nichts weiter tun, als ihn mit einem gezwungenen Lächeln willkommen zu heißen. Trotzdem vermochte sie es nicht zu verhindern, dass ihr warm ums Herz wurde angesichts der Fürsorge, die er für seine kleine Tochter an den Tag legte.
»Du bist gekommen, um dir dein süßes, mutterloses Kind anzus e hen. Nun, sie ist stark und gedeiht prächtig. Hier, komm näher und schau sie dir an.« Sanft zog sie die Tücher von dem winzigen Kinn fort, damit man Elyses Gesicht bes ser sehen konnte. »Ich schwöre, dass sie schon jetzt ihrer schönen Mutter gleicht.«
William setzte sich neben sie und betrachtete das schla fende Kind pflichtschuldigst, dann hob er den Blick und sah Lilliane an. »Sie gedeiht
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