Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
dir das deine Freunde gesagt? Dass ich einen Schlitz habe, in den du Münzen stecken kannst?«, spie sie mir entgegen.
»Ich … verdammt noch mal. Nein, das habe ich nicht gemeint.« Ich errötete und überspielte es, indem ich von meinem lauwarmen Bier trank. Dabei verschüttete ich ein wenig und musste es mit dem Ärmel aufwischen. »Das habe ich ganz und gar nicht gemeint.«
»Was genau hast du dann gemeint?«
Ich starrte über die Theke hinweg. Die Flaschen dorthinten waren staubig. Darüber hing ein Gemälde, eine Kopie eines Meisterwerks, das ich im Atelier des Künstlers hängen gesehen hatte, als ich noch ein Kind war.
»Du erinnerst dich nicht an mich, oder?«, fragte ich, ohne sie anzusehen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie sie mit ihrem Glas spielte. Sie gab dem Wirt ein Zeichen, verneinte einen weiteren Schlosskamm und zeigte stattdessen auf etwas weniger Kostspieliges.
»Doch, tu ich.« Sie sah mich an. Kurz funkelten ihre Augen, blitzte ein Lächeln auf. Ihre Stimme erklang leise. »Ehrlich gesagt wäre es anders, wenn du am nächsten Tag nicht so ein spektakuläres Missgeschick gehabt hättest.«
Ich grunzte und trank. Die Leute, die sich an mich erinnerten, taten es in der Regel wegen jenes Tages. Diejenigen, die mich vergaßen, auch.
»Weißt du, ich habe mich oft gefragt, was aus dem Jungen geworden ist, dem ich damals begegnet bin und der vom Himmel fiel.«
Ich drehte mich ihr zu. Dabei fiel mir die lächerliche Pose ein, in die ich mich in jener Nacht geworfen hatte. Ich blickte an mir hinab und betrachtete die glanzlosen Kleider, den Fleck am Ärmel. Das Einzige an meiner Erscheinung, das man als in Ordnung bezeichnen konnte, war die Pistole, sauber geölt und schwarz.
»So wie es aussieht, fällt er wohl immer noch«, meinte Emily.
Ich wandte mich ab, bedeutete dem Wirt, dass ich ein weiteres Bier wollte.
»Ich halte mich über Wasser«, erwiderte ich. »Ist zwar schwierig, aber ich halte mich über Wasser. Mitgefühl brauche ich nicht.«
»Das ist gut. Denn ich bin nicht besonders geschickt darin, Mitgefühl zu zeigen. Wir haben alle schlechte Zeiten. Nur weil deine Kindheit privilegiert und vielversprechend war, sind deine Tage nicht härter als meine.«
»Wie du meinst.«
»Du kannst zwei Wege einschlagen, Jacob.« Langsam trank sie ihren billigen Bourbon und zuckte zusammen, als sie ihn im Mund herumspülte. »Menschen, die solche Schwierigkeiten wie du haben, können zwei Wege einschlagen. Sie können mürrisch und zornig werden und letztlich unter dem Gewicht ihrer Tragödie zusammenbrechen. Oder«, flüsterte sie, als sie sich der Theke zudrehte, »sie können sich anpassen. Stärker werden. Sich selbst helfen. Für sich eintreten. Jedenfalls werden sie eine von zwei Sorten Mensch: starke oder tote.«
»Und welche der beiden Sorten nimmt Ratschläge von Huren in Kneipen an?«, fragte ich.
Sie lächelte verhalten und mit schmalen Lippen. Ihre Hände krampften sich um das Glas zusammen.
»Sagen wir, ich schlage dich dafür nicht, Jacob. Dieses eine Mal nicht. Sind das deine Freunde?«, fragte sie und nickte in Richtung meines Tisches.
Ich schaute hinüber. Ein derber Haufen. Alle trugen billige Jacken und gestohlenes Zeug, das nicht zusammenpasste und speckig war. Ich erinnerte mich, dass sich Marcus unter ihnen befand. Er sah mich etwas nervös an. Damals fiel mir das nicht auf. Viele Leute wirkten in meiner Gegenwart nervös, wohl wegen meiner Zinnaugen.
»Das sind sie.«
»Hast du noch andere Freunde?«, wollte sie wissen. Ich schüttelte den Kopf. »Wirklich nicht? Aus der Akademie, aus dem Rat? All die Jahre, in denen du aufgewachsen bist, hast du keine einzige Freundschaft geschlossen?«
»Die reden alle nicht mehr mit mir.«
»So, wie du angezogen bist, ist das kein Wunder. Und du gehst auch nicht auf sie zu, oder?« Emily drehte sich mit dem Rücken zur Theke und stützte die Ellbogen darauf, dann ließ sie den Blick durch den verrauchten Raum wandern. »Hier ist es sicherer, nicht wahr? Leute wie die erwarten nicht viel von ihren Freunden. Es ist schwierig, sie zu enttäuschen.«
»Du hast ja nicht die geringste Ahnung, wovon du redest, Lady.«
Sie lachte. »Ich glaube doch. Was hat dich hierher getrieben? Ehrlich, was verschlägt einen Jungen wie dich an einen Ort wie diesen? Und sag nicht, das verfluchte Schicksal oder dein Vater.« Sie trank einen Schluck und zuckte erneut zusammen. »Menschen treffen Entscheidungen. Menschen stehen
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