Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
lief auf und ab. Falls Valentine hier jemanden postiert hatte, leistete derjenige gute Arbeit.
Ich ging an ihrem Haus vorbei, bog um die nächste Ecke, verbrachte eine Minute in einer Bäckerei und kehrte zurück. Niemand schien mich zu bemerken, als ich die Tür passierte. Niemand wirkte vertraut oder verdächtig. Ich begab mich zur Rückseite und ergriff den Übergabestein, den Emily und ich verwendeten, um Treffen zu vereinbaren. Im Inneren befand sich ein Schlüssel. Ich legte den Stein zurück in seine Ausnehmung, ging wieder nach vorne, sperrte auf und betrat das Gebäude. Derselbe Schlüssel öffnete auch Emilys Tür. Kaum befand ich mich in ihrer Wohnung, schloss ich ab und keilte einen Stuhl unter den Knauf.
Der Schlüssel in meiner Hand bestand aus neuem Metall und roch nach Öl, als wäre er erst unlängst gepresst worden. Er wirkte nicht vertraut, aber ich hatte Emily nie mit vielen Schlüsseln gesehen. In der Regel enthielt der Stein unten eine verschlüsselte Botschaft mit Zeit und Ort. Ich steckte den Schlüssel ein und sah mich um.
Emily war ordentlich, so sehr, dass es schon mechanisch präzise anmutete. Die Wohnung spiegelte diese Präzision wider. Der Schreibtisch, an dem sie und ich am Tag zuvor gesessen hatten, präsentierte sich aufgeräumt und leer, die Stühle standen angewinkelt daneben. Vielleicht sogar in dem Winkel, in dem ich meinen hinterlassen hatte, als ich ging. Valentine hatte gesagt, Emily habe ein Treffen mit Cacher versäumt, und ich erinnerte mich, dass sie erwähnt hatte, er sei auf dem Weg zu ihr. Das ergab ein denkbar schmales Zeitfenster. Wäre mir Valentine härter auf die Pelle gerückt, wenn er gewusst hätte, wie schmal?
Ich öffnete nacheinander jede Schublade, leerte sie völlig und überprüfte sie auf Geheimfächer, bevor ich zur nächsten überging. Es dauerte etwa zehn Minuten, und am Ende hatte ich nichts Neues erfahren. Kein Mechagen, auch keine geheimen Anweisungen von undurchsichtigen Kontaktpersonen über mein Treffen auf den Höhen oder sonstige Hinweise darauf, dass Emily etwas anderes als die Hure und Mittelsfrau sein könnte, die ich seit mittlerweile fünf Jahren kannte. Ich legte alles zurück und nahm den Rest der Wohnung in Augenschein.
Viel gab es nicht zu sehen. Ihre Kleider lagen ordentlich in der Kommode im Schlafzimmer, ihr Bett war gemacht. Der Raum roch nach ihr, wie Sommerblumen, die im Frühling blühten. Ich verbrachte nicht viel Zeit in ihrem Schlafzimmer, und die Küche bestand nur aus einer Bestecklade und einem leeren Kühlkasten. Es gab keine Anzeichen auf einen Kampf oder gewaltsames Eindringen, aber die Waffe, die sie im Schrank an der Eingangstür verwahrt hatte, fehlte ebenso wie die Wirtschaftsbücher, an denen sie gearbeitet hatte, als ich ging. Sie waren für Cacher gewesen, fiel mir ein, was bedeutete, dass er hier gewesen sein musste. Wahrscheinlich hatte er sich selbst Zugang verschafft und Emily nicht angetroffen, also hatte er sich wohl genommen, weshalb er hergekommen war, bevor er wieder von dannen ging. Hatte er auch das Mechagen genommen, oder hatte es Emily bei sich? Und was das anging, wohin war sie verschwunden, und weshalb?
Ich setzte mich auf den zur Straße weisenden Diwan, legte den Revolver in meinen Schoß und ließ mir die Lage durch den Kopf gehen. Es konnte auf vielerlei Weise dazu gekommen sein.
Die unwahrscheinlichste, am wenigsten besorgniserregende Möglichkeit schien zu sein, dass Emily bloß unterwegs war, um etwas Geschäftliches zu erledigen. Nicht verschwunden, nur untergetaucht, während sie sich um … was auch immer kümmerte. Entweder um einen ihrer Kunden in Anfurtsberg oder um ein Geschäft, das ihre persönliche Aufmerksamkeit erforderte. Und vielleicht hatte sie das Mechagen in der Absicht mitgenommen, es im Zuge ihrer Besorgungen bei Valentine oder sonst jemandem abzugeben. Doch falls es sich so zugetragen hätte, wäre Valentine in der Lage gewesen, sie aufzuspüren. Abgesehen davon schien es mir verflucht früh dafür zu sein, dass sich Valentine um Emilys Verbleib sorgte. In dieser Branche verschwanden die Leute manchmal einfach, tauchten gerne ab. Die Fähigkeit, sich aus Schwierigkeiten herauszuhalten, gehörte mit zu den Dingen, die Mittelsleute wie Emily so wertvoll machten.
Und die Waffe? Es war ihre Knarre für die häusliche Verteidigung, ein knapp einen halben Meter langer, brutaler Schießprügel, die wichtigsten Teile einer Schrotflinte mit abgesägtem Lauf. Emily besaß
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