Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
hereinschimmerte. Ich fing an zu bedauern, ihn in der Zisterne zurückgelassen zu haben, um das Mechagen zu bewachen. Mein Blick wanderte zu Emilys reglosem, langsam atmendem Körper. Ich begann außerdem zu bedauern, sie mitgenommen zu haben.
Was ich fand, war wohl kaum die beste Lösung, aber der einzige Weg nach draußen. In der Nähe der Säule der innigen Absichten verlief ein Bündel von Rohrleitungen nach unten. Die Rohre erwiesen sich als kalt und erstreckten sich aus tieferen Gefilden der Kirche herein, bevor sie unter den Boden führten. Wo sie verschwanden, befand sich eine lange Achse, eine Nockenwelle, die langsam rotierte. Bei jeder Umdrehung konnte ich weit in die Tiefe zu einem Steinboden ganz unten sehen. Dort herrschte Licht, und in den Schacht waren Leitersprossen eingelassen. Vermutlich ein Wartungszugang. Ich musste nur die Nockenwelle anhalten.
Zuerst brachte ich Emily näher zu dem Schacht, dann schleifte ich die Familienkirchenbank hin. Aus der Richtung der Tür hörte ich Maschinen und schwere Schritte. Ich schwitzte – bei den Göttern, ich schwitzte ganze Flüsse. Abermals kippte ich die Bank senkrecht. Das Gewicht war beinah zu viel für mich, aber es musste sein. Emily begann wieder zu bluten. Ich schob die auf der Kante balancierende Bank auf den Rand des Schachts zu. Ich würde wohl nur eine Chance erhalten. Als die Nocken verschwanden, stieß ich die Bank vorwärts und ließ sie gerade in das Loch fallen.
Sie stürzte etwa einen halben Meter tief, bevor die Nocken zurückkehrten und das Holz erfassten. Der Rest der Bank splitterte und fiel. Die Nocken verschlangen sie förmlich, zerschmetterten sie und ließen Holztrümmer und Leder durch den gesamten Raum spritzen. Ich warf mich auf Emily. Splitter bohrten sich in meinen Rücken. Ein knirschendes Geräusch ertönte, dann folgte Stille. Ich schaute auf.
Die Reste der Kirchenbank hatten sich in der Nockenwelle verkeilt. Der gesamte Mechanismus stöhnte unter der Belastung. Nahe Mechagene klirrten und gerieten außer Takt; ihre Zähne schabten gegen ihre Antriebswellen. Der Schacht war frei, würde es allerdings nicht lange bleiben. Ich war nicht sicher, ob ich es ganz nach unten schaffen würde. Mein Blick wanderte zu Emily, zur Tür, den Schacht hinab. Ich hatte keine andere Wahl.
Ich hievte mir Emily über die Schulter, ignorierte ihr Stöhnen und das Blut auf ihrer Brust. Beim Abstieg nahm ich drei Sprossen auf einmal. Eigentlich fiel ich mehr, als ich kletterte. Das erinnerte mich an die Hinderniskurse der Akademie, nur war diese Herausforderung hier wesentlich schwieriger, und es stand wesentlich mehr auf dem Spiel. Meine Schultern knackten protestierend.
Ein Teil der Bank verrutschte, und die Nocken setzten sich wieder in Bewegung. Jäh zuckte ich zur Wand zurück, als eine Nockenwelle brüllend auf mich zuschoss, das breite Metallantlitz ölig und flach, ein Hammer, der auf mein Gesicht zuschnellte, eine Flutwelle der Gewalt und Energie. Zentimeter vor mir hielt sie inne. Ich schaute nach oben und sah einen Erschaffer, der zu mir herunterblickte.
»Komm herauf, mein Sohn«, rief er. »Wir finden schon eine Lösung.«
Hinter ihm ragte etwas auf. Es war die Parodie eines drei Meter großen Mannes, mit Armen aus Gitterwerkstahl und Drähten. Das Ding ballte Fäuste so groß wie Fässer.
Ich ließ los und fiel. Ich landete vor Emily und drückte sie an mich. Schmerzen schossen durch meine Beine und meinen Rücken, als ich mich abrollte und sie vom Steinboden fernhielt. Mittlerweile blutete ich. Kaum war ich gelandet, schlingerte die Achse. Die Kirchenbank gab endgültig nach, und die Nockenwelle erwachte rumorend zu neuem Leben. Der Erschaffer starrte zu mir herunter. Die Nocken verschwammen, als sich ihre Bewegung beschleunigte. Kopfschüttelnd verschwand der Mann.
Ich rappelte mich auf die Beine, hob Emily hoch und versuchte, den Korridor hinabzulaufen. In meinem Kopf toste die Welt. Emily schlug kurz die Augen auf und starrte mich an.
»Alles in Ordnung, alles in Ordnung«, flüsterte ich. »Es wird alles gut.«
Sie hustete Blut, dann schloss sie die Augen wieder und erzitterte. Ich rannte schneller, immer schneller und blind in die dunklen Tunnel unter der Kirche des Algorithmus.
Kapitel 12
TEILE DES MÄDCHENS
Die Tunnel unter der Kirche waren weder als Fluchtwege noch dafür gedacht, eine bewusstlose Person durch sie zu tragen. Vielmehr waren sie winzig, vollgestopft mit Maschinen und glitschig vor Öl. Ich war
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