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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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klitzekleinen, menschenähnlichen Kreaturen wimmelte. Der Junge hatte es geschafft, die Fäden, die ihn gehalten hatten, zu zerreißen, und war zu Boden gefallen, doch er schrie und wälzte sich immer noch. Theron konnte jetzt nicht mal mehr fluchen — seine abergläubische Furcht war zu groß. Ihm war klar, dass das seine einzige Chance war, loszurennen und den dämonischen kleinen Kreaturen zu entkommen, die sich jetzt zu Dutzenden an winzigen Seilen herabließen und auf dem Jungen herumkletterten, um ihn mit dickeren Schnüren zu umwickeln und so endgültig zu fesseln. Nur die Götter mochten wissen, was diese Wesen mit dem armen Kind machen würden, wenn sie es einmal hatten?
    Theron blickte in den Abgrund seiner Feigheit, konnte sich aber nicht hineinfallen lassen, konnte den Jungen nicht einfach einem solchen Schicksal überlassen. Brüllend rannte er zu Lorgan und wollte ihn aufheben. Winzige Männlein stachen auf seine Hände ein, als er den Jungen umdrehte, wobei viele der Wesen herunterfielen und manche zerquetscht wurden. Eine Salve von Nadelstichen an seinem Hals und seiner einen Gesichtsseite ließ Theron vor Pein aufschreien. Als er hinfasste, wickelten sich etliche der unsichtbaren Fäden um ihn und fesselten seine Hand an seinen Kopf Aus dem Gleichgewicht gebracht, taumelte er und fiel dann quer auf den Jungen. Hilflos im Gras liegend, sah er die winzigen Männlein durchs bodennahe Gestrüpp auf sich zurennen, Miniaturschreckgestalten mit grotesken Gesichtern wie abschreckende Masken. Sie piepten und summten in einer so hohen Tonlage, dass er es fast nicht hören konnte. Und schon waren sie auf ihm, zuerst Dutzende, dann Hunderte. Er versuchte, nach ihnen zu schlagen, hatte aber nur eine freie Hand, und jetzt fesselten sie auch diesen Unterarm. Lorgan wimmerte und wand sich hilflos unter ihm.
    Da traf ihn plötzlich etwas mit Wucht, schleuderte ihn von dem Jungen hinunter und ließ ihn durchs Gras und Gestrüpp bis an die Wand des nächststehenden Hauses rollen. Zuerst sah Theron nur den Dachvorsprung und die kleinen Monstermännlein, die sich von ihren seltsamen Nestern herabließen. Seine eine Hand war immer noch an seine Gesichtsseite gefesselt, und er hatte plötzlich die Schreckensvision, dass ihm die winzigen Kreaturen in den Mund fallen würden und er ersticken müsste. Er drehte sich um und rappelte sich mühsam auf die Knie hoch. Da sah er den namenlosen Pilger einen langen Ast schwingen und die Hängenester unterm Dachvorsprung zerschlagen, sodass das pappmacheartige, blättrige Material in großen Brocken zu Boden fiel und mit ihm Dutzende strampelnder kleiner Gestalten.
    Der Vermummte benutzte den mächtigen Ast jetzt als eine Art Hammer, hieb auf die durchs Gras flitzenden Männlein ein, zerschlug die Stücke ihrer Nester, zermalmte so viele der Wichte, wie er erwischen konnte. Theron spürte mehr, als dass er es hörte, wie sich der Ton der schrillen Stimmchen änderte, Zorn und Aggressivität in Panik umschlugen, als der namenlose Pilger die Nester systematisch zu zerstören begann.
    Endlich schaffte es Theron, seine Hände loszureißen — er sah jetzt die Fäden, die sie gefesselt hatten, von seinen Fingern hängen, winzige Seile, nicht dicker als Spinnenfäden — und auf die Beine zu kommen. Noch immer traf ihn der eine oder andere unsichtbare Pfeil. So tief wie möglich geduckt, lief er zu Lorgan, hob ihn hoch und trug ihn, so schnell er konnte, von dem verfluchten Dorf weg. Dabei trat er auf etliche der Männlein, ohne dass es ihm leid tat.
    Theron griff sich so viel von ihrem Reisegepäck, wie er nur konnte, und schleifte es hinter sich her, den Weg entlang, weg von den Häusern. Erst als die Flussbiegung hinter ihm lag und er die Hütten nicht mehr sehen konnte, legte er schließlich den Jungen ab und ließ sich, nach Luft ringend, zu Boden sinken.
    Als der Vermummte kam, hatte Theron bereits ein etwas geschützteres Plätzchen gefunden, sein Feuerzeug hervorgeholt und ein Feuer in Gang gebracht. Der namenlose Pilger sagte nichts, ließ sich nur so vorsichtig am Feuer nieder, dass Theron ihm niemals zugetraut hätte, keine Stunde zuvor die winzigen Kobolde dutzendweise erschlagen zu haben. Die seltsame Gestalt nahm ein Stück Dörrfleisch entgegen und hielt es in den verbundenen Händen, an denen jetzt reichlich frisches Blut klebte. Dass viel davon seins war, glaubte Theron nicht.
    Lorgan fieberte den ganzen Abend, und Theron befürchtete, dass manche der winzigen Pfeile

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