Das Herz
welche die Feste des Ewigen Winters genannt ward, doch Moros fürchtete sich zu sehr, um weiterzugehen, also verließ er den Waisenknaben dort am Tor.«
Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
Die Brände in Südmarkstadt und die immer noch schwelenden xixischen Schiffe auf dem Wasser machten die Nacht so hell, dass man fast schon glauben konnte, der Tag dämmere herauf. Einige Schiffe waren bis an die Wasserlinie verkohlt, unkenntliche schwarze Klumpen, die weiterhin Dampf und Funken emporspien.
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal auf diese Art zurückkehren würde,
dachte Briony, die zusah, wie das Festland hinter ihnen zurückblieb, während Ena sich in die Riemen legte. Überall um sie herum glitten Boote in Richtung Burg, wie Wasserkäfer, die sich an einem Punkt des Teichs versammelten. Eneas und seine Männer waren jeweils zu zweit oder zu dritt in wendige kleine Paddelboote verladen worden, die Pferde auf Kähne; insgesamt fuhren jetzt fast zwanzigmal zwanzig Skimmer-Boote über die Bucht auf Südmarksburg zu.
Weder Briony noch Ena war sonderlich auf Konversation erpicht, also glitten sie schweigend dahin, bis sie sich dem Stummel des einstigen Dammwegs näherten, jetzt nur noch eine kleine Landzunge vor dem mächtigen äußeren Tor. Briony ließ sich von Ena auf die glitschigen Steine hinüberhelfen.
»Aber wohin gehen wir?«, fragte Briony. Das riesige Basiliskentor dräute auf sie herab wie ein finsterer Riese. Sie hatte sich nie überlegt, wie es sich anfühlen musste, hier anzukommen und sich etwas so Einschüchterndem gegenüberzusehen — früher war es immer nur ein Zeichen dafür gewesen, dass sie gleich wieder zu Hause sein würde. »Wie kommen wir hinein?«
»Nicht so, wie wir Skimmer reinkommen, Herrin«, sagte Ena lächelnd. »Das ist unser Geheimnis und muss es in solchen Zeiten auch bleiben. Aber Ihr habt keine Heimlichkeiten nötig, Hoheit! Ihr kommt ja in Euer eigenes Haus zurück!«
»Nicht jeder hier wird froh sein, dass ich wieder da bin«, sagte Briony, aber Ena stieß bereits ihr Boot wieder ab.
»Passt auf Euch auf, Königin Briony! Wir sehen uns wieder!«, rief das Skimmermädchen.
Sie wollte rufen, »Ich bin nur Prinzessin«, besann sich aber darauf, leise zu sein. Die anderen Skimmer lenkten ihre Boote ebenfalls zum Ansatz des Dammwegs, um ihre Passagiere abzuladen. Als Eneas' Männer allesamt abgesetzt waren, fuhren die Skimmer wieder aufs offene Wasser hinaus. Ein Gesang stieg von den Booten auf, tief und über der Brandung kaum zu hören. Es war keine Sprache, die Briony kannte, und dass es ein Gesang war, schloss sie nur daraus, dass es eine Art Melodie hatte, ein Auf und Ab wie das der Wellen selbst. Wer waren die Skimmer wirklich? Diese Saqri hatte etwas von Qar-Verwandten gesagt, aber das konnte doch wohl nicht sein. Die Wasserleute gehörten zu Südmark, hatten immer dazugehört, lange bevor und lange nachdem die Qar ins Exil jenseits der Schattengrenze getrieben worden waren.
Eneas tauchte aus dem Abendnebel auf, so groß und ernst, dass sie einen Augenblick dachte, es sei ihr Vater. »Prinzessin, ist alles in Ordnung?«
»Ja, Hoheit, danke.« Bis Tagesanbruch waren es noch Stunden; sie hatten kein Licht außer dem Schein der brennenden Schiffe und der Feuer drüben auf dem Festland. »Für ein Nachtlager scheint das hier ein ziemlich unkomfortables Plätzchen.« Sie deutete auf die mächtige Mauer, das baumhohe Tor, umrahmt von den steinernen Schlangenwindungen der Kreatur, nach der es benannt war. »Habt Ihr einen Plan, wie wir hineinkommen?«
»Nun ja, das Gasthaus hat bereits geschlossen, aber vielleicht können wir ja den Türhüter wecken.« Eneas rief etwas zu seinen Männern hinüber, und im nächsten Moment hatte ein Trompeter sein Horn gezückt. Auf einen zweiten Befehl des Prinzen blies er ein schallendes Hornsignal. Briony konnte sich nur erschrocken die Ohren zuhalten.
Gleich darauf erschien über dem Tor ein Kopf, gefolgt von drei, vier weiteren: behelmte Wachen, so tief geduckt, dass sie nur als kleine Beulen auf der Brustwehr erschienen, wie Säuglingszähne, die sich durchs Zahnfleisch schieben.
»Wer da?«, rief einer so hoch über ihnen, dass der Wind seine Worte fast wegriss. »Ihr seid wohl von den Männern des Autarchen, hm? Hofft wohl auf ein bisschen Wasser, um Eure Feuer zu löschen? Das könnt Ihr haben, aber nicht so, wie Ihr Euch das denkt!«
»Wir sind keine Xixier!«,
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