Das Herz
Ihr habt hier nichts zu suchen.«
Chaven sah ihn perplex an. »Warum so kalt, Hoheit? Warum so zornig? Ich habe Eurer Familie in Eurer Abwesenheit nur Gutes getan — ich habe mitgeholfen, Eurer Schwester das Leben zu retten!«
Barrick wurde von einem Gedankenwirrwarr überschwemmt, den Feuerblumenstimmen und seinen eigenen Erinnerungen. Er wusste selbst nicht, warum er so zornig auf den Hofarzt war. »Ich frage Euch noch ein letztes Mal, Chaven — was macht Ihr hier, warum schleicht Ihr um unser Lager herum?«
»Schleichen? Ich ...« Der Gelehrte schüttelte den Kopf »Um ehrlich zu sein, Prinz Barrick — ich weiß es nicht. Ich ... ich gestehe, ich bin etwas verwirrt. Ich scheine mich verlaufen zu haben.« Er sah sich langsam um.
»Ja,
wo bin ich? Soweit ich mich erinnere, war ich zuletzt mit Chert und den anderen zusammen ...«
Der Name sagte Barrick nichts. Er wollte dem Mann gerade den Rücken kehren, als ihn einer der Kobolde am Ärmel zupfte. »Er versteckt etwas, werter Herr. Wir haben es gesehen, als er auf uns zukam — da, unter seinem Gewand. Es ist ein kleiner Mann aus Stein. Passt auf, falls er damit nach Euch schlagen will ...«
»Was? Unsinn!«, rief Chaven, schien aber mehr verdutzt als beleidigt. Er schlang die Arme um den Leib, als wollte er seinen Bauch vor einem Angriff schützen.
»Wovon sprechen sie, Chaven? Zeigt es mir.«
»Aber ... es ist nicht ...« Durch den Ausdruck in Barricks Augen eingeschüchtert, griff Chaven unter sein Gewand und zog den Gegenstand hervor, den er dort versteckt hatte. Es war eine kleine Statue, ein Mann mit einer Eule auf der Schulter, roh aus einem hellrosa, grau und blau gemaserten Kristall gehauen. Die Feuerblumenstimmen sangen laut und schrill in Barricks Kopf, ebenso verwirrt wie er selbst.
»Das ... diese Statue habe ich schon mal irgendwo gesehen.« Er starrte darauf und blickte dann Chaven an, der immer noch halbwach, aber gleichzeitig erschrocken aussah, wie jemand, den man direkt aus dem Bett in eine gänzlich unerwartete Situation geschleift hat. Dann kam es ihm plötzlich wieder, wie Feuer, das sich rasend schnell durch dürres Reisig frisst. »Sie stand zu Hause in der Erivor-Kapelle. Jemand hat sie gestohlen.« Barricks Gesicht fühlte sich an, als gehörte es jemand anderem — er hatte keine Ahnung, was für einen Ausdruck es zeigte.
»Ich
habe sie gestohlen. Und Briony und ich haben sie ins Meer geworfen. Wie kann es sein, dass Ihr sie jetzt habt?«
»Ich weiß nicht, Hoheit!« Der Arzt schüttelte vehement den Kopf »Doch, ich weiß es — natürlich weiß ich es! Die Skimmer haben sie mir gebracht. Ein paar von ihren Austerntauchern haben sie gefunden, und ... und sie dachten, ich könnte ihnen sagen, ob sie etwas wert ist. Ich habe sie ihnen abgekauft.« Er sah Barrick an; seine Miene war kalkulierend, aber zugleich war da noch etwas anderes, Seltsames, eine Art animalischer Furcht. »Ich hatte so etwas noch nie gesehen — ein Bildnis des Kernios Olognothas, des allsehenden Erdherrn. Ich ... ich wollte es unbedingt haben.«
»Ihr wolltet diese schwere Statue des schrecklichen Gottes so unbedingt haben, dass Ihr sie hier in diesen Tiefen mit Euch herumschleppt? Was macht Ihr überhaupt hier unter der Burg, Mann? Was verbergt Ihr?«
Chaven duckte sich ein wenig. »Mein Prinz, Ihr macht mir Angst. Ich will Euch ja alles erzählen. Ich versprech's! Ich will all Eure Fragen beantworten, ja. Nur nehmt mich mit in Euer Lager und gebt mir etwas Wasser zu trinken. Ich bin ganz ausgedörrt. Ich weiß nicht, wie lange ich in diesen einsamen Gängen umhergeirrt bin ...«
»Ihr werdet nicht nur mit ins Lager kommen«, sagte Barrick. »Ihr werdet Saqri gegenübertreten, der Königin der Zwielichtler, und auch ihre Fragen beantworten. Und wenn Ihr
großes
Pech habt, werdet Ihr auch Yasammez gegenübertreten. Manche nennen sie Fürstin Stachelschwein. Ihr werdet Euch wahrscheinlich in die Hosen pissen, wenn Ihr es mit ihr zu tun bekommt.«
Barrick musterte den Hofarzt noch einen Moment, dankte dann den Koboldwachen und entließ sie. Als sie davongetrabt waren, wandte er sich wieder an Chaven. »Aber zuerst ...«
Dem Hofarzt stand der Mund offen. »Ihr habt mit ihnen gesprochen — aber ich habe kein Wort gehört. Wie habt Ihr das gemacht?«
»Das spielt keine Rolle.« Barrick machte eine unwirsche Handbewegung. »Bevor wir ins Lager gehen, werdet Ihr die Statue vorläufig in meinem Zelt lassen. Ich glaube, ich will im Moment noch nicht, dass
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