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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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einfach nur Angst. Ich will nicht sterben.«
    »Bei einem jungen Mann in der Blüte seiner Jahre wäre alles andere auch merkwürdig.«
    »Ich hatte viele ... Ich dachte, es würde ... anders ...«
    Vansen klopfte dem Mönch auf die Schulter. »Nicht verzagen — vielleicht lebt Ihr ja noch weiter! Aber ob heute oder in fünfzig Jahren, irgendwann stehen wir alle vor Immons Tor ...«
    »Wir nennen ihn
Nozh-la«,
unterbrach ihn Sinter.
    »... stehen wir alle vor Nozh-las Tor«, fuhr Vansen fort, »und warten, dass uns sein Gebieter, der Herr des Todes, seine wohlwollende Aufmerksamkeit schenkt.«
    »Ihr seid ein Dichter, Hauptmann.« Trotz des Zitterns in der Stimme wirkte der Mönch amüsiert.
    Vansen jedoch war mitten im Sprechen von einer Vision überfallen worden, einer Erinnerung, so mächtig, dass sie ihn beutelte wie ein Terrier eine Ratte und ihm erst mal den Atem nahm.
Immons Tor.
Er war dort gewesen oder sah es zumindest so deutlich vor seinem inneren Auge, als ob er es kennen würde: das riesige, prächtige Portal aus schwarzem Stein, so hoch wie ein Berg, Teil der gesichtslosen, steinernen Feste des Herrn der Unterwelt. Und überall ringsum die mattroten Lichter und hohen, dunklen Schatten der Stadt des Todes. War das möglich? Hatte er es tatsächlich gesehen? Aber wann? Das Phantom in seinem Kopf schien so real!
    Es spielt keine Rolle, wann. Und auch nicht, ob es ein Traum war Ich habe es gesehen. Ich kenne es. Ich bin tatsächlich am Tor
zur
Feste des Todes selbst gewesen und zurückgekehrt.
Wenn die Götter zu ihm zu sprechen versuchten — Ferras Vansen hörte zu. Er vernahm förmlich Stimmen, ähnlich einem Tempelchor — etwas, das größer war als er selbst, trug ihn empor, und für einen Augenblick fürchtete er gar nichts mehr.
    Ganz gleich, was jetzt oder später mit mir geschieht, mein Leben war nicht bedeutungslos!
    Am entgegengesetzten Ende der großen Höhle rumste es, ein dumpfer Schlag, der die Fackeln beinah zum Erlöschen brachte und Steine von dem Geröllhaufen, der den dortigen Zugang blockierte, kullern ließ. Ein erneutes Rumsen, diesmal lauter, wie ein Schlag auf beide Ohren, der Ferras Vansen für einen Moment ertauben ließ und seine Gedanken in Fetzen sprengte. Am anderen Ende der Höhlenkammer war alles voller Staub und stiebendem Gestein. Gestalten bewegten sich dort, wo sich eben noch Tonnen von Geröll getürmt hatten.
    Vansen erkannte sofort, dass der Autarch nicht sein gewöhnliches Fußvolk, die Nackten, vorgeschickt hatte; vielmehr tauchten hinter den Rauch- und Staubschwaden hohe, helle, sich wie Schlangenschuppen überlappende Schilde auf, eine von Speeren starrende Masse, die wie ein Igel langsam in die Höhle vordrang. Die Männer waren hünenhaft, ihre Schilde mit einem hässlichen, zähnefletschenden Hundekopf bemalt — die gefürchtetste, mörderischste Einheit des Autarchen führte den Angriff an.
    Mit einem Gebrüll, das Vansens geschädigtem Gehör kaum mehr als ein lautes Stöhnen schien, stürmten die Weißen Hunde in die Initiationshalle.
    Der Nachmittag fühlte sich an wie ein nicht enden wollender Gewittersturm. Vansen und seine Männer hielten die erste Barrikade aus geschickt aufgetürmten Steinen, so lange sie konnten, doch auch im Schutz des hohen Walls fielen mindestens ein Dutzend Funderlinge. In den Gefechtspausen wurden die Toten geborgen und ihre Rüstungen und Waffen verteilt. Mit grimmiger Belustigung nahm Vansen zur Kenntnis, dass durch den Schwund jetzt fast alle seine Männer ordentlich gepanzert und bewaffnet waren. Als die Zunftwächter, die das rechte Ende der Barrikade hielten, so weit überrollt wurden, dass Xixier in großer Zahl den Wall erklommen, gab Vansen schließlich den Rückzugsbefehl, und die Funderlinge ließen sich hinter die zweite Barrikade zurückfallen.
    »Jetzt stoppt sie hier!«, rief er. »Speere vor, Zunftmänner, Speere vor!«
    Sie hielten den zweiten Wall, so lange sie konnten. Die Zeit verwischte, und die Schreie verschmolzen zu einem einzigen Getöse, ähnlich dem des Ozeans irgendwo über ihren Köpfen.
    Himmel und Meer,
dachte Vansen —
ach, beides noch einmal wiedersehen! Und Briony Eddons Gesicht!
Wenn man Götter oder Göttinnen lieben konnte, die keinerlei Notiz von einem nahmen, warum dann nicht auch eine Prinzessin? Zählte die Liebe etwa weniger, weil sie nicht erwidert wurde?
    Weitere Funderlinge fielen, auch der tapfere kleine Dolomit, Jaspis' Unterführer; andere nahmen den Platz der Gefallenen ein,

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