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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Der Kampf tobte so heftig, dass nicht einmal Zeit blieb, die Verwundeten in Sicherheit zu bringen. Vansen war noch nie in seinem Leben so erschöpft gewesen, nicht mal in den verlorenen Monaten jenseits der Schattengrenze — es kostete ihn schon ungeheure Kraft, sich überhaupt zu erinnern, wo er war und was um ihn herum geschah. Doch die Leitern, die an beiden Enden über der Barrikade auftauchten, waren kein Traum, und die Männer, die sie erklommen, so real wie der Tod selbst.
    Ganz in der Nähe sprangen einige Nackte, ihre Krummschwerter und Handäxte schwingend, von der Wallkrone. Er merkte, dass er wie ein Betrunkener hinstarrte, während Männer starben —
seine
tapferen Männer.
    »Es ist soweit!«, rief Vansen. »Zurück und durch den Ausgang! Wir formieren uns auf der Galerie neu. Rückzug!«
    Diesmal war der Weg kurz. Ein paar Männer musste Vansen regelrecht aus dem Kampfgetümmel herauszerren, viele andere allerdings hatten schon auf diesen Moment gewartet und rannten so überstürzt zum Ausgang in der Rückwand der Offenbarungshalle, dass einige hinfielen und andere über sie hinwegtrampelten. Immer mehr Xixier ergossen sich über die letzte Barrikade.
    »Schnell!« Vansen griff sich einen herrenlos herumliegenden Speer, um damit die Angreifer in Schach zu halten, bis auch die letzten Funderlinge zum Ausgang hinaus waren. Er hatte an diesem Tag so viele Verletzungen davongetragen, dass er in jeder anderen Situation zu den versorgungsbedürftigen Verwundeten gezählt hätte, doch als der größte Mann seiner Truppe wusste er, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren: Dass er Angriffswelle um Angriffswelle buchstäblich durchstand, hatte viel dazu beigetragen, den Kampfgeist seiner Männer aufrechtzuerhalten. Doch Vansen war auch bewusst, dass der Zeitpunkt gekommen war, da Strategie bedeutungslos wurde. Jetzt musste jeder Einzelne sein Leben so teuer wie möglich verkaufen, aber ob das reichte, würden sie nie erfahren.
    Vansen, Malachit Kupfer und ein paar Mann von Kupfers Hausmacht zogen sich als Letzte auf die große Felsplatte zurück, die die Funderlinge die Galerie nannten und die aus dem senkrecht abstürzenden Fels ragte, der das Labyrinth barg. Von der Galerie sah man über hundert Fuß hinab in die riesige Höhlenkammer, die das Meer der Tiefe enthielt, wobei einen Raum von diesen Dimensionen Kammer zu nennen etwa so war, als bezeichnete man den Drei-Brüder-Tempel als Hütte oder Hierosol als Dorf. Die Kaverne hatte ungefähr den Durchmesser des inneren Zwingers, und ihre Höhe war unbekannt. Falls die gewaltige Höhle eine Decke besaß, befand sie sich irgendwo in der Finsternis über ihnen und war nicht einmal von der hohen Galerie des Labyrinths aus sichtbar.
    Und in der Mitte der Kaverne lag die glänzende, stille Oberfläche des Meers der Tiefe — »das Silber«, wie er die Qar zuweilen hatte sagen hören. Adern von glimmendem Stein, die sich durch die Wände der riesigen Kammer zogen, gaben ein schwaches, aber stetes Licht, sodass Vansen selbst von der Galerie aus jenen Ort sehen konnte, der offenbar das Ziel des Autarchen war und für dessen Erreichen er schon so viele getötet hatte: das schimmernde, kristalline Monument, das der Leuchtende Mann genannt wurde und auf einer Insel inmitten des silbrigen, unterirdischen Meers stand.
    »Achtung, Hauptmann — sie kommen!«, rief Malachit Kupfer. Vansen kehrte der Steinbrüstung seufzend den Rücken und trat ein paar Schritte vor, damit er nicht so leicht hinabgestoßen werden konnte. Er wusste, ein paar seiner Männer würden am Ende lieber diesen Ausweg wählen, als durch einen xixischen Speer zu sterben. Er würde es ihnen nicht verdenken können, aber sein Weg war das nicht.
    Dunkle Wolken quollen aus der Offenbarungshalle auf die Galerie hinaus. Im ersten Augenblick dachte Vansen, es sei Staub, der daher käme, dass die Xixier die gesamte Barriere eingerissen hätten, doch selbst dafür schien die Wolke zu groß. Aus den Schwaden traten mehrere Gestalten hervor, dunkle Schemen, die der rauchartige Schleier irgendwie größer erscheinen ließ, sodass sie eher Monstern als Menschen glichen.
    Doch im nächsten Moment musste er erschrocken feststellen, dass das, was er da sah, wirklich ein Monster
war,
oder jedenfalls nichts Menschliches. Das Wesen, das mit jedem Moment größer wurde, war ein sich windender, formloser, unsteter Schatten.
    Es gab etwas von sich, das fast wie Worte klang, ein grässliches tiefes Knurren. Zwei weitere,

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