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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sich ebenfalls ausgestreckt; er lag auf der Seite. Seine Augen waren halb offen und in die Ferne gerichtet, als ob er durch das gebündelte Schilf der Bootswände und vielleicht sogar durch den Fels der Höhle blicken könnte. »Ihr fragt, woraus dieses Meer besteht, Hauptmann? Aus den Überresten meines Ahnherrn.« Er lächelte leise, aber das machte Vansen nur frösteln. »Ihr habt soeben im Blut eines Gottes geplantscht.«

38

Besuch aus dem Totenreich
    »Als der Waisenknabe beim Hause des Aristas anlangte, hatte das Sonnenstück seine Hände zu Asche verbrannt. Er gab das Sonnenstück seinem Freund und sank tot vor dessen Füße.«
    Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
    Es ging alles erstaunlich schnell.
    Briony, der Tempelhund und der syanesische Ritter Stephanas schlichen über den hügeligen Friedhof, nur im Licht des zunehmenden Mondes, der gerade so hell schien, dass Briony den schwächeren Lichtschein, der aus dem Eingang zur Eddon-Gruft fiel, gar nicht bemerkte, bis sie schon fast darin standen.
    Angst und Wut packten sie. Was hatte Hendon in ihrer Familiengruft zu suchen?
    Als sie gerade die Syanesen mit einem Handzeichen stehenbleiben hieß, stolperten zwei Soldaten in dunklen Umhängen, offenbar in einer Art Ringkampf begriffen, die Grufttreppe herauf
    »Die Toten ...!«, keuchte der eine; er konnte vor Angst kaum sprechen. »Er will sie zurückholen ...!« Schließlich konnte sich der panische Soldat von dem anderen losreißen, der ihn wohl hatte aufhalten wollen. Er rannte über den Friedhof und verschwand im Dunkeln. Der andere Soldat starrte ihm mit geweiteten Augen nach, musste dann aber etwas anderes gehört haben. Er senkte seinen Speer und näherte sich zaghaft der Stelle, wo Briony und Eneas' Soldaten hinter einer Steingruft kauerten.
    »Wer da?« Seine Stimme zitterte. »Heraus, im Namen des Reichshüters!«
    Einer von Tollys Männern also. Briony nickte dem Soldaten mit dem Bogen zu. Noch im Aufstehen schoss er den Pfeil ab. Hendon Tollys Wachposten blickte verdutzt auf den schlanken Holzschaft, der zitternd in seinem Bauch steckte, klappte dann zusammen und fiel lautlos um.
    Briony führte Stephanas und den anderen Syanesen die Stufen hinab. Zu ihrer Überraschung war die vordere Gruftkammer, wo ihr Großvater, ihre Mutter und ihr Bruder ruhten, leer; nur die Särge dieser und anderer Eddons jüngerer Zeiten standen an ihren Plätzen. Aus der inneren Gruftkammer aber drangen Stimmen — erstaunlich laute Stimmen. Sie sah Stephanas und den Soldaten an und legte sich den Zeigefinger an die Lippen.
    »Das Kind«, flüsterte sie. »Denkt daran: Es gilt um jeden Preis das Kind zu retten.«
    Leise passierten sie den Durchgang zwischen den Gruftkammern. Als sie mit gezückten Waffen ins Licht der Innengruft traten, erkannte Briony mehrere Gestalten: Die erschreckendste war ein Mann mit einem langen Messer, der gerade im Begriff schien, den kleinen Prinzen auf einem improvisierten Altar zu töten, doch noch ehe sie ein Wort sagen konnte, schoss der syanesische Bogenschütze dem Mann mit dem Messer einen Pfeil in die Brust. Der Mann drehte sich erstaunt um sich selbst und sackte dann zu Boden, während sein Langdolch klirrend über den Steinboden hüpfte.
    Hendon Tolly reagierte fast so schnell wie der Bogenschütze. Noch ehe der Mann mit dem Messer auf dem Steinboden der Krypta aufschlug, hatte Tolly das schwere Buch, das er in der Hand hielt, auf den Bogenschützen geschleudert und ihm die Waffe aus der Hand geschlagen. Hendons Schwert fuhr zischend aus der Scheide. Auch Briony zog ihr Schwert, aber Hendon hatte nicht vor, sich dem Zweikampf mit einem bewaffneten Gegner zu stellen. Seine schlanke Klinge schnellte vor wie die Zunge einer silbernen Schlange und hing, fast ohne zu zittern, über dem kleinen Alessandros, der jetzt weinte, ein seltsam alltägliches Geräusch an einem so unheimlichen Ort.
    »Oho!«, sagte Tolly, dessen geweitete Augen im Licht der Wandfackeln glänzten. Er trat noch näher an den kleinen Prinzen heran, die Klinge nur wenige Zoll vor den Augen des Säuglings. »Welch interessanter Abend das doch geworden ist!«
    »Hört nicht auf irgendwelches Gerede«,
hatte Shaso Briony immer eingeschärft, meist dann, wenn er sie gerade auf diese Weise dazu gebracht hatte, ihre Deckung zu vernachlässigen.
»Das ist entweder Dummheit Eures Gegners oder ein Ablenkungsmanöver. Konzentriert Euch auf das, was Ihr tut.«
Briony versuchte

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