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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sie nicht zu, ja als nähmen sie überhaupt nicht wahr, dass außer ihnen noch jemand im Raum war.
    Vansen straffte sich, holte tief Luft und sagte: »Ihr benehmt Euch wie ein verzogenes Kind mit einem Schoßtier, das ihm bereits langweilig geworden ist. Das es, statt es einfach wegzuschicken, wenn es ihm lästig ist, piesackt und quält, nur zu seinem eigenen Amüsement.«
    Seine Stimme war jetzt belegt. »Das ist es, was Ihr tut, Briony Eddon. Das ist die Rolle, die Ihr mir gegenüber spielt.«
    Ein Teil von ihr war wütend, dass er so mit ihr zu sprechen wagte, aber gleich dahinter stand ein größerer Teil, der mit Entsetzen begriff, was sie mit diesem netten, aufrechten Mann gemacht hatte. »Aber ich ...« Die Worte wollten einfach nicht richtig herauskommen. »Ich wollte ...«
    Vansen, der eben noch so resigniert dreingeschaut hatte wie ein Gefangener auf dem Galgengerüst, trat jetzt einen Schritt auf sie zu. Er hatte einen Gesichtsausdruck, den sie nicht recht verstand — es sah aus wie freudige Erregung, aber auch wie schreckliche Angst. »Und ich werde Euch noch etwas sagen«, sprudelte er atemlos hervor. »Ganz egal, was Avin Brone meint, und selbst wenn Ihr tatsächlich so etwas wie die Dankbarkeit empfindet, von der Ihr sprecht, ich kann niemals Konnetabel werden und auch kein Adliger an Eurem Hof, ja nicht einmal Hauptmann Eurer Garde sein. Deshalb muss ich, bei aller Dankbarkeit meinerseits für das, was ich Eurer Familie verdanke, und für die Freundlichkeit, die Ihr mir erwiesen habt ... zeitweilig erwiesen habt ... den Dienst aufkündigen.« Er zog seine Handschuhe aus dem Gürtel und legte sie auf den Boden, löste dann sein Schwert und plazierte es daneben. »Mögen die Götter über Euch wachen, Hoheit, und über den Thron der Markenlande.«
    Er war nur wenige Schritte weit gekommen, als sie ihm nachrief: »Aber warum? Warum kehrt Ihr den Belohnungen den Rücken, die Ihr Euch wohl verdient habt?«
    Er drehte sich langsam um, in dem Wissen, dass das, was er jetzt sagen würde, niemals ungeschehen gemacht werden konnte. »Weil ich es nicht ertragen könnte, für den Rest meines Lebens in Eurer Nähe zu arbeiten, Briony Eddon. Ich liebe Euch ungefähr seit dem Moment, da ich Euch das erste Mal gesehen habe, und ich weiß auch, dass in ebenjenem Moment die Götter im Himmel Tränen gelacht haben müssen ... wer war ich denn? Ein einfacher Soldat.«
    »Nein! Ein mutiger Mann«, sagte sie, weil es das war, was sie gerade gedacht hatte. »Ein liebenswürdiger Mann. Ein anständiger Mann.«
    »Warum sprecht Ihr jetzt freundlich zu mir, wenn Ihr es vorhin nicht getan habt, Prinzessin?« Es schien ihn nicht mehr wirklich zu interessieren. »Mitleid mit einem armen Toren?«
    »Töricht bin hier
ich,
würde ich sagen.« Sie lachte. »Aber Ihr seid es auch, Hauptmann! O barmherzige Zoria, ich dachte schon, Ihr sagt nie, wie es in Eurem Herzen aussieht. Wie sollte ich mir gestatten, einen Mann zu lieben, der sich nicht traute, mir zu sagen, was er fühlt?«
    »Ihr ... empfindet etwas für mich ...?« Sie dachte, er würde vielleicht lachen oder zu einem großen Monolog ansetzen wie eine Figur in einem Theaterstück, aber stattdessen rief er plötzlich: »Wachen! Geht hinaus und bewacht eine Weile die Tür. Mir kommen plötzlich Bedenken, was die Sicherheit vom Gang her angeht.«
    »Ihr braucht nicht alle wegzuschicken ...«, hob Briony an, als die Soldaten hinausgingen. Ihr Herz pochte. Sie verspürte den starken Drang, zu kichern wie ein Kind. »Doch«, sagte Vansen. »Auch wenn sie diskret sind, ist es doch unbillig, auch noch zu verlangen, dass sie so tun, als wären sie blind und blöde. Wir Gemeinen haben auch unseren Stolz.« Er betrat das Thronpodest. »Und Ihr könnt mich morgen dafür aufs Schafott schicken, Prinzessin, aber ich muss Euch küssen — ich muss! Ich habe so lange darauf gewartet ...«
    Zuerst sagte Briony nichts, weil es alles so phantastisch und unerwartet war, dass sie Angst hatte, es könnte sich beim kleinsten Mucks in Luft auflösen. Sie konnte kaum atmen, als Vansen sie an den Armen fasste und aus ihrem Thronsessel emporzog, doch als sie seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spürte, wurde ihr klar, welch mühsame Distanz sie all die Monate zu ihm aufgebaut hatte. »Ja, küsst mich, Vansen«, sagte sie schließlich. »Bitte, küsst mich!«

48

Am dunklen Fluss
    »Die mildherzige Blume der Morgenröte glaubte, den Waisenknaben gerettet zu haben, als sie aus Kerniou und der

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