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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Moment konnte Kettelsmit diese neue Präsenz spüren, ihre versengende, euphorisierende Kraft, ehe er vom Spiegel weggeschleudert wurde wie jemand, den der Blitz getroffen hat.
    Einen Augenblick lang verspürte Matty Kettelsmit ein schreckliches Verlustgefühl, so als sei er von allem getrennt worden, was er jemals geliebt hatte; dann flogen seine Gedanken davon.
    Als Kettelsmit wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden der Eddon-Gruft und starrte in die schattendunklen Regionen, in die das Fackellicht nicht ganz vordrang. Seine Schulter kribbelte, als ob sie eingeschlafen wäre oder schrecklich lange in einem eisigen Tümpel gelegen hätte, aber als er sie panisch befühlte, stellte er erleichtert fest, dass sein Arm immer noch dran war. Er drehte sich und blickte unversehens zu Hendon Tolly empor — doch zu einem Hendon, wie ihn Kettelsmit nie zuvor gesehen hatte. Der Reichshüter stand schwankend und stöhnend vor dem Spiegel, die Augen halb geschlossen, am ganzen Leib zitternd von einer unvorstellbaren Pein oder Ekstase. Seine Wachen konnten nur schweißnass und panisch zusehen, wie ihr Herr hilflos in der überwältigenden Umarmung des Himmels tanzte.

7

Die Schlacht von Klerborn
    »Eine der Räubersfrauen hatte Mitleid mit dem kleinen Adis und gab ihm von ihrem eigenen Essen. Eines Tages nahmen sie und ihr Mann den Knaben und verließen heimlich die Räuberbande ...«
    Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
    Je näher sie Südmark kamen, desto schwerer wurde Briony ums Herz. Am Hof von Tessis, inmitten von Höflingen und Müßiggängern, die guten Teils mit ihr sympathisierten (oder zumindest so taten), hatte sie leicht reden gehabt, dass sie ihren Thron zurückgewinnen wolle. Vor der Aufgabe zu stehen, es wirklich zu tun, war etwas ganz anderes. Auch wenn es Prinz Eneas' Wille war, ihr zu helfen, hatte sie den Sohn des mächtigsten Königs von ganz Eion doch ohne die Erlaubnis seines Vaters in ihren eigenen Kampf hineingezogen. Und bei allem guten Willen — welche Chance hatte Eneas, Südmarksburg zurückzuerobern, eine Feste auf einem Fels inmitten einer Bucht? Ohne Schiffe und mit keinen tausend Mann?
    »Macht Euch keine Sorgen«, erklärte ihr der Prinz. »Wir werden uns ansehen, womit wir es zu tun haben, und dann erst beschäftigen wir uns mit taktischen Fragen. Euer Vater war doch bekanntermaßen ein kluger Mann — er hat Euch doch gewiss gelehrt, keine Pläne zu machen, ohne ein Bild von den Gegebenheiten zu haben ...«
    »Ist«,
sagte sie. »Er ist es noch. Ich weiß, dass er lebt — ich weiß es!«
    »Natürlich, Prinzessin.« Eneas schien aufrichtig betroffen. »Ich wollte nicht ... ich habe mich unbeholfen ausgedrückt ...«
    »Ihr könnt nichts dafür.« Sie schüttelte den Kopf. »Mir passiert es auch manchmal, dass ich so rede und sogar so denke. Es ist so lange her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen habe! Mein Freund Dowan hat gesagt, er sei sich sicher, dass ich meinen Vater wiedersehen würde, wenigstens ein Mal ...« Sie konnte nicht weitersprechen, aus Angst, in Tränen auszubrechen. Die Erinnerung an den armen, toten Dowan war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen zu bringen drohte.
    Prinz Eneas war stark und gütig und ein beruhigender Halt. Es wäre leicht gewesen, einfach alles ihm zu überantworten — die Rückeroberung ihres Königreichs, all ihre übrigen Hoffnungen und Befürchtungen, sogar sich selbst —, aber sie konnte es einfach nicht. Immer war da etwas Störrisches in ihr, derselbe Eigensinn, der sie so oft mit ihren Ratgebern und selbst mit ihren eigenen Bediensteten in Konflikt gebracht hatte. Sie wollte sich ihre Bürden nicht abnehmen lassen, von niemandem, nicht mal von einem so verlässlichen Mann wie Eneas — schon gar nicht von einem so verlässlichen Mann wie Eneas. Es fiel ihr schon schwer genug, Dawet-dan-Faar Dinge anzuvertrauen, die sie nicht selbst tun konnte, aber der Tuani-Abenteurer behandelte sie wenigstens nicht wie ein wohlwollender Onkel. Ja, Dawet schien ihren Eigensinn sogar aufrichtig zu bewundern.
    Briony konnte sich der Frage nicht erwehren, was für einen Ehemann der gefährliche Dawet wohl abgäbe. Er würde auf seiner Freiheit bestehen, ihr aber auch ihre Freiheiten lassen ...
    Und Ferras Vansen? War er so schüchtern, wie er wirkte? Sie konnte nicht vergessen, wie er immer ihrem Blick ausgewichen war. Bildete sie sich nur ein, dass dieser Mann etwas für sie empfand? Aber es hatte doch

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