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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hervorkommt.«
    An diesem Abend stand Briony schon früh von dem Mahl mit Eneas und den Offizieren auf und ging in ihr Zelt. Sie hatte keinen Hunger und war nicht erpicht darauf, Konversation zu machen. Außerdem beachteten die Männer sie sowieso kaum, weil sie viel zu aufgeregt waren. Wie kleine Jungen, befand Briony — Frauen waren als Gesellschaft durchaus akzeptabel, aber nur, bis etwas wirklich Wichtiges des Weges kam. Selbst Eneas hatte mit einer gewissen kindlichen Begeisterung über Taktikfragen geredet. Der Prinz war nicht töricht und hatte einen vorsichtigen Plan entworfen, immer unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Sicherheit für seine Männer, aber dennoch hatte in seinen aufgeregten Worten etwas gelegen, was Briony an die Wurfspiel-Diskussionen ihrer Brüder erinnerte.
    Doch selbst die Zubettgeh-Verrichtungen ohne die Hilfe von Zofen — einst ungewohnt, inzwischen jedoch selbstverständlich — ermüdeten Briony nicht so weit, dass sie gleich hätte einschlafen können.
    Vielmehr lag sie in einem Bett, das (wie fast alles im Lager) nach den Tieren roch, die die Packsäcke jeden Tag trugen, und lauschte den leisen Rufen der Lagerwachen, die in Abständen meldeten, dass alles in Ordnung war. In den Intervallen zwischen den Rufen dachte sie an die Männer ihrer Familie, die jetzt verschollen oder tot waren. Und allein im Dunkel des Zelts, das sie als Einzige im Lager mit niemandem teilte, weinte Briony Eddon.
    Die Zwielichtler hatten ihren Angriff entweder bei Einbruch der Dunkelheit gar nicht unterbrochen oder aber beim ersten Licht fortgesetzt. Die Sonne war noch nicht über den Hügeln aufgetaucht, als die syanesischen Truppen das Ende des nächsten Tals erreichten und die zerstörten Mauern von Klerborn vor sich sahen, doch das Erste, was sie erkannten, war, dass an diesem Tag schon Menschen — und Qar — zuhauf gefallen waren.
    Die sterblichen Verteidiger hatten auf einer Anhöhe über der Straße Stellung bezogen, wo ihnen das dichte Geäst von Bäumen einen gewissen Schutz vor den Pfeilen der Qar bot. Die Elben, eine kleine Streitmacht, von der nur einige wenige Fünfzigschaften sichtbar waren, hatten die Angreiferrolle inne und belagerten die Anhöhe. Zuerst war kaum festzustellen, ob sich die Qar beträchtlich von ihren menschlichen Gegnern unterschieden — nur ihre seltsam geformten Banner und die ungewöhnlichen Farben ihrer Rüstungen deuteten darauf hin —, doch als Eneas das Kommando gab und seine Truppen die Straße entlangstürmten, auf die Anhöhe zu, erkannte Briony nach und nach bedeutsamere Unterschiede: Einer der Zwielichtler-Kommandeure, von dem Briony zunächst geglaubt hatte, er trüge ein Hirschgeweih als Helmzier, hatte, wie sich jetzt erwies, gar keinen Helm auf. Eine Schar kleiner, menschenähnlicher Gestalten, die lange, zerfetzte Gewänder in Schwarz und Braun zu tragen schienen, war in Wirklichkeit nackt. Aber sie alle kämpften grimmig und seltsamerweise, soweit Briony es beurteilen konnte, ohne jede taktische Ordnung. Sie schwärmten vorwärts wie Insekten, und wie Insekten schienen sie auch auf irgendeine lautlose Art und Weise zu wissen, was sie zu tun hatten, denn wenn sie Angriffsart oder -winkel änderten, taten es alle gleichzeitig, ohne dass Briony irgendein Signal oder einen Befehl gehört hätte.
    Die Menschen, gegen die sie anstürmten, schienen ein bunter Haufen aus wohlbewaffneten Soldaten und un- oder leichtbewaffneten Zivilisten — Kaufleute vielleicht, da auf der Anhöhe, die sie verteidigten, etliche Wagen dicht beisammenstanden. Sie führten kein erkennbares Banner, aber die Wappen auf einigen Schilden und Waffenröcken konnte Briony als krakisch identifizieren. Söldner, dachte sie, zum Schutz eines Handelszugs gedungen — aber warum Männer von so weit weg? Und warum zog eine Handelskarawane überhaupt durch eine so gefährliche Gegend? Südmarksburg selbst erhielt doch sicherlich das Gros seiner Versorgungsgüter auf dem Seeweg, wie es immer gewesen war, ehe Briony ihre Heimat verlassen hatte.
    Sie konnte nicht länger darüber nachdenken, da jetzt die Zwielichtler erstmals Eneas und seine heranstürmenden Truppen zu bemerken schienen. Pfeile schwirrten auf sie zu.
    Der Prinz drängte Briony jäh vor der Straße, indem er sein Pferd zwischen sie und die Qar manövrierte. »Ihr werdet Euer Leben nicht aufs Spiel setzen, Prinzessin.«
    »Aber ich kann kämpfen!« Briony merkte selbst, dass es töricht war, aber sie konnte nicht anders. »Ihr

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