Das Hexen-Amulett (German Edition)
predigen.
Der Fall Dorcas Scammell hatte zwar für einige Aufregung gesorgt, aber was die Öffentlichkeit sehr viel mehr bewegte, waren die Nachrichten vom Krieg und der Erfolg im Norden des Landes. Eine königstreue, im Tower eingesperrte Hexe konnte bei weitem nicht so faszinieren wie Geschichten von einer geschlagenen Armee und guten Protestanten, die die Streitkräfte des Königs besiegten. Zur Hinrichtung der Hexe würde wohl jede Menge Volk zum Tower Hill pilgern, doch wie Treu-bis-in-den-Tod wusste, sollte noch vor ihr ein in Bedford verurteilter katholischer Priester den Feuertod erleiden. Nichts wurde in London so sehr bejubelt wie der Anblick eines brennenden Papisten. Ein solches Schauspiel ließ sogar die Hungersnot vergessen.
Ja, der Ruhm wollte sich für Treu-bis-in-den-Tod einfach nicht einstellen, und das machte ihm schrecklich zu schaffen. Er zermarterte sich den Kopf, betete und ging stundenlang in seiner behaglichen Kammer auf und ab, bis er schließlich eine erstaunlich simple Antwort auf seine Fragen fand. Es war spät in der Nacht, als er bei Kerzenlicht in der neuesten Ausgabe des Mercurius Britanicus , dem wichtigsten Nachrichtenblatt Londons, den jüngsten Bericht über die Belagerung von York zur Kenntnis nahm und erfuhr, dass die Sache der Parlamentarier zum Besten stand und ihre Kommandeure den Ruhm ernteten, der ihm versagt blieb. Plötzlich durchfuhr es ihn, und er zitterte vor Aufregung bei dem Gedanken, der sich ihm nun aufdrängte. Natürlich! Die melancholische Erstarrung war mit einem Mal überwunden. Er griff zu Papier und Feder, spitzte den Gänsekiel und schrieb geschlagene zwei Stunden lang. Er korrigierte, fügte hinzu und formulierte um, und es war schon nach drei Uhr in der Früh, als er sich müde, aber glücklich zurücklehnte, voller Zuversicht, nun endlich für seine Mühen belohnt zu werden.
Und er sollte recht behalten. Seit dem glorreichen Sieg der Heiligen auf dem Marston-Moor hatte der Herausgeber des Mercurius bislang nur ein paar kleinere Artikel erhalten, mit denen sich die Seiten seines Blattes nicht füllen ließen. Tagtäglich wurde die Einnahme Yorks erwartet, ein Kommentar dazu lag bereits im Bleisatz. Doch die ersehnte Meldung ließ auf sich warten, und so gab es nur wenig, was das Interesse der Leserschaft hätte erregen können. Da kam Treu-bis-in-den-Tod in das staubige Büro des Herausgebers und legte einen Bericht über Dorcas Scammell vor, der ihm auf Anhieb gefiel.
Die Geschichte wurde ohne Kürzungen abgedruckt. Sie erzählte von der Heimsuchung Londons durch den Teufel und von dem Feuer, das, von ihm gelegt, einen Teil der Thames Street verheert hatte. Beschrieben wurde außerdem der Mord an Hauptmann Samuel Scammell, dem «wackeren Krieger des Herrn», und der Herausgeber gab einen Holzschnitt in Auftrag, der zeigte, wie Dorcas Scammells Katze einem geharnischten Mann, dessen Schwert von einem grinsenden Satan zurückgehalten wurde, an der Kehle hing, während die Hexe, mit klauenartigen Fingern dargestellt, das Höllentier anstachelte. Der Künstler gab ihr schwarze Haare, eine scharf geschnittene Nase und ausgefallene Zähne.
Im weiteren Verlauf der Geschichte wurde Ebenezer Slythe gewürdigt: Er «nahm Abstand von seiner Bruderliebe, um der Liebe des allmächtigen Herrn im Himmel Genüge zu tun, und entführte unter großem Kummer und Schmerzen seine Schwester aus Lazen.» Doch die kurze Lobpreisung seines Gönners war nichts im Vergleich zu der Ehre, die sich Treu-bis-in-den-Tod Hervey selbst angedeihen ließ. Er hatte seinen Bericht in der dritten Person verfasst und seine Entdeckung der teuflischen Art von Dorcas Scammell überaus wortreich ausgeschmückt. «Gestärkt von der Kraft des Herrn, der mächtiger ist als der Teufel», habe er die Hexe bezwungen, und zwar, wie er schilderte, in einem titanischen Kampf, der einem Vorgeschmack auf das Zusammenprallen von Gut und Böse bei Armageddon gleichkomme.
Ebenezers Aufforderung, das in dem Siegel versteckte Kruzifix zu verschweigen, hatte Hervey irritiert, nicht zuletzt auch die seltsame Erklärung, die er mit der Frage umschrieben hatte, ob der Kuchen denn nicht schon genug Pflaumen habe. Nein, Bruder Hervey mochte sich mit den wenigen Pflaumen nicht zufriedengeben. Die Bevölkerung von London fürchtete sich vor dem Katholizismus. Zwar gab es in der Hauptstadt nur äußerst selten Fälle von Hexerei, doch wenn er ihr, so seine Überlegung, eine Hexe präsentierte, die zudem eine
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