Das Hexen-Amulett (German Edition)
Siegel!»
«Glaubt Ihr, dass Lopez kommen wird?»
Sir Grenville nickte. «Er wird kommen, Ebenezer.»
«Was wäre denn von ihm zu befürchten? Dass er sie aus dem Tower befreit? Wohl kaum. Und Ihr habt zwei Siegel.»
Sir Grenville lehnte sich zurück und schmollte. Er verspürte einen heftigen Stich im Bauch, als ihm die Worte von Barnegat, seinem Astrologen, in den Sinn kamen, der vorausgesagt hatte, dass ein Feind übers Meer herbeigesegelt käme. Aretine! Dieser verfluchte Aretine! Cony fürchtete diesen Mann, obwohl es hieß, dass er tot sei und fernab in der amerikanischen Wildnis begraben liege. Sir Grenville schüttelte den Kopf. «Nein, er kann nichts anrichten, Ebenezer, aber er könnte es versuchen, und ich will keine Scherereien. Verstehst du? Ich will dieses verdammte Mädchen lieber heute als morgen tot sehen. Dann hätten wir nichts mehr zu befürchten.» Er rieb sich mit beiden Händen das teigige Gesicht und sagte: «Sorg dafür, dass das Strafverfahren vorgezogen wird. Sprich mit Higbed. Sag ihm, dass wir alle nötigen Kosten übernehmen. Hauptsache, ihr wird möglichst bald der Prozess gemacht.»
«Ja.»
«Und verdoppele die Anzahl der Wachen vorm Haus. Verdreifache sie!» In seinen hervortretenden Augen flackerte wieder Wut auf.
«Seid Ihr Euch sicher, dass ich das tun soll?»
«Natürlich!» Sir Grenville erinnerte sich an das hübsche Gesicht seiner Feindin und an ihren Wagemut, der sie schließlich in den Tower gebracht hatte. «Lopez hat schon einmal einen Gefangenen aus dem Tower befreit», sagte er mit düsterer Stimme.
«Das wird ihm diesmal nicht gelingen», entgegnete Ebenezer.
«Wie dem auch sei, ich will Klarheit, und das möglichst schnell.»
Ebenezer strich mit der flachen Hand über seinen Hals. Sir Grenville schüttelte den Kopf, obwohl er durchaus versucht war, das Mädchen heimlich töten zu lassen.
«Nein. Aretine ist zwar tot, aber er hatte viele Freunde. Ein Mord an dem Mädchen würde vergolten werden. An einem ganzen Land aber kann keiner Rache üben. Nein. Das Gericht soll sie zum Tode verurteilen. Dann kann uns niemand einen Vorwurf machen.» Sir Grenville warf einen Blick in die Zeitung und las: «Ebenezer Slythe nahm Abstand von seiner Bruderliebe, um der Liebe des allmächtigen Herrn im Himmel Genüge zu tun, und entführte unter großem Kummer und Schmerzen seine Schwester aus Lazen.» Eben noch wutentbrannt, fing Sir Grenville nun so an zu lachen, dass seine Schultern auf und ab hüpften. Mit ausgestrecktem Finger zeigte er auf seinen Schützling, dessen bleiches Gesicht keinerlei Regung verriet. «Du solltest dir einen Leibwächter zulegen, mein Junge. Das Geld dafür hättest du ja. Sei auf der Hut. Pass immer auf, was hinter deinem Rücken geschieht.»
Am Tag nach der Beweisaufnahme durch das Tribunal wurde Campion wieder aus ihrer Zelle geholt und durch dunkle Gänge und enge Stiegen geführt. Sie fürchtete, weiteren Torturen ausgesetzt zu werden und wimmerte vor Angst. Umso mehr überraschte es sie, als ihr die Wachen schließlich die Tür zu einem hellen, warmen Zimmer öffneten. Auf dem Boden lag ein Teppich, und die Fenster, obwohl vergittert, waren groß und mit Samt behängt. Zwei Frauen nahmen sich ihrer an. Sie halfen ihr aus den Kleidern, badeten sie, wuschen ihr die Haare und bereiteten ihr schließlich ein bequemes Bett. Eine der beiden brachte auf einem Tablett eine warme Mahlzeit, setzte sich zu ihr auf die Bettkante und half ihr beim Essen. «Wir päppeln dich auf, meine Liebe.»
Jede noch so kleine Bewegung kostete sie Zeit und Kraft. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, genoss es aber, sauber und frei von Läusen zu sein. Es war himmlisch. Sie weinte.
«Ja, so ist es recht», sagte die Frau und tätschelte ihren Kopf. «Weine nur, meine Kleine.»
«Warum werde ich auf einmal so verwöhnt?»
Die Frau lächelte. «Du hast Freunde, mein Kind. Freunde. Die haben wir doch alle nötig, nicht wahr? Und nun iss deinen Teller leer. Recht so. Ein braves Mädchen.»
Man ließ sie schlafen. Als sie erwachte, war es Abend. Im Kamin brannte ein Feuer. Eine der beiden Frauen servierte ihr Wein und wieder zu essen. Campion trug eine wollene Robe. Die Haare waren mit einer Schleife zusammengebunden. «Ist dir auch warm genug?», fragte die Frau lächelnd.
«Ja.»
«Setz dich ans Feuer.»
Es war herrlich, in diesem warmen, sauberen Haus zu sein. Im Innern fühlte Campion sich jedoch nach wie vor besudelt. Mit Entsetzen dachte sie an Herveys Hände
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