Das Hexen-Amulett (German Edition)
auf ihrer Haut zurück. Nichts würde jemals wieder so sein wie früher. Herveys Schmutz haftete ihr unauflöslich an. Doch selbst das war ohne Bedeutung, denn sie sah für sich keine Zukunft mehr. Irgendjemand hatte dafür bezahlt, dass ihr Erleichterung verschafft worden war, und sie vermutete, dass Lady Margaret dahintersteckte. Eine andere Erklärung fiel ihr nicht ein. Tobys Mutter hatte anscheinend dafür gesorgt, dass sie, Campion, ihre letzten Tage auf Erden nicht im Schmutz zubringen musste. «Wie geht es Toby?», fragte sie die Frau.
«Toby? Ich kenne keinen Toby, meine Liebe. Möchtest du noch Nachtisch?»
Am nächsten Morgen trat sie vor das vergitterte Fenster des Schlafzimmers und schaute hinab auf einen winzigen Innenhof, in dem sie eine kleine, graue Gestalt erblickte. Offenbar ging sie tagtäglich darin auf und ab, denn auf dem Rasenstück hatte sich eine Spur gebildet. Eine ihrer neuen Gefängniswärterinnen nickte mit dem Kopf und sagte: «Das ist der Erzbischof.»
«William Laud?»
«Richtig. Er ist ein bisschen gestutzt worden.» Sie lachte. «Bald wird er wohl noch ein bisschen mehr gestutzt werden.»
Campion sah den Erzbischof von Canterbury hin und her gehen, den Kopf gesenkt und in der Hand ein Buch. Er war wie sie ein Gefangener. Einmal warf er einen Blick zu ihr herauf und lächelte, als sie die Hand zum Gruß erhob. In den Tagen danach kehrte sie zur gleichen Zeit immer wieder ans Fenster zurück, und die beiden lächelten einander zu.
Schließlich meldete sich ein Strafverteidiger bei ihr. Er hieß Francis Lapthorne und versprach ihr einen glücklichen Ausgang der Verhandlung, die von der Grand Jury gefordert worden war. Als sie Mr Lapthorne fragte, wer ihn geschickt habe, lächelte er nur und sagte: «Darauf zu antworten wäre sehr gefährlich, Miss Slythe, denn selbst Steinmauern haben Ohren. Seid einfach froh, dass ich hier bin.»
Das war sie. «Wie geht es Toby?»
«Macht Euch keine Sorgen. Die sind jetzt nicht mehr nötig. Versteht Ihr?»
Sie zeigte ein so erleichtertes Lächeln, dass Mr Lapthorne ganz angerührt war. Er war noch recht jung, vielleicht Anfang dreißig, hatte ein feingeschnittenes Gesicht und eine tiefe, ausdrucksvolle Stimme. «Ihr weint ja», sagte er lachend und reichte ihr ein Taschentuch.
Er lachte auch über die gegen sie erhobenen Vorwürfe. «Ihr sollt eine Hexe sein? Unsinn, barer Unsinn! Da wäre wohl eher diese Haushälterin mit dem Teufel im Bunde. O ja, wenn es Hexen gibt, ist sie bestimmt eine.» Er war voller Pläne. Er wollte die Nachtwächter, die den Brand auf Scammells Werft bekämpft hatten, in den Zeugenstand rufen und danach befragen, ob denn einer von ihnen tatsächlich in jener Nacht den Leibhaftigen gesehen habe. Er mokierte sich über die Behauptung, dass eine Katze oder sie, die Angeklagte, Samuel Scammell getötet haben könne, zumal dieser bewaffnet und geharnischt war. Campion schöpfte Mut. Als er sie das zweite Mal besuchte, ließ er sie das Vaterunser aufsagen und klatschte anschließend Beifall. «Großartig. Könnt Ihr das vor Gericht wiederholen?»
«Wenn mir niemand ein Messer in den Rücken stößt.»
«Hat man das getan? Herrje!» Mr Lapthorne schüttelte den Kopf. «Zu dumm, dass ich nicht dabei gewesen bin. Aber jetzt bin ich ja da.» Er legte eine Ledertasche auf den Tisch und entnahm ihr eine Schreibfeder, ein Tintenfässchen sowie mehrere Bögen Papier. Das Fässchen mitsamt der Feder schob er zu ihr hin und sagte: «An die Arbeit, Dorcas.»
«Nennt mich Campion.» Sie lächelte schüchtern.
«Campion. Wie reizend. Euer zweiter Name?»
Um sich eine Erklärung zu ersparen, nickte sie bloß.
«Nun denn. Ihr müsst jetzt ein paar Dokumente unterschreiben, Campion. Tja, ohne die geht es leider nicht. Manchmal fürchte ich, dass unsereins am Ende noch in dieser Papierflut ertrinkt. Fangen wir hiermit an.»
Er hatte ein Schriftstück aufgesetzt, das ihre Geschichte nacherzählte und in allen Einzelheiten der Wahrheit entsprach. Sie überflog den Text, bewunderte seinen Stil und setzte ihren Namen darunter. Dann legte er ihr mehrere Papiere vor, die bescheinigen sollten, dass ihr im Tower Vergünstigungen zuteil geworden waren. Als sie das infrage stellte, antwortete er lächelnd: «Wir wollen doch auch die Wärter günstig stimmen, nicht wahr? Vor Gericht macht es einen guten Eindruck, wenn sie zufrieden sind und Euch helfen. Die Geschworenen wissen ohnehin, dass Ihr kein schlechtes Mädchen seid. Keine
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