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Das Hexen-Amulett (German Edition)

Das Hexen-Amulett (German Edition)

Titel: Das Hexen-Amulett (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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Weggeschlossen.» Toby Lazender kam ihr in den Sinn, der im kalten Wasser eine Druckwelle zu spüren vermochte, die ihn wissen ließ, dass ein Fisch zum Greifen nahe war. Ebenso nahe wähnte sie sich in diesem Augenblick einer wichtigen Erkenntnis.
    Cony, Bund, weggeschlossen.
    Sie massierte sich die Schläfen und versuchte, dem unterstrichenen Wort eine verborgene Bedeutung abzuringen, so wie ihr Vater mit den Zahlen der Bibel gerungen hatte. Doch je konzentrierter sie nachdachte, desto weiter entfernte sie sich von der Antwort. Weggeschlossen? Welche tief verschüttete Erinnerung war mit diesem Wort verbunden?
    Sie stand auf, zog die Vorhänge zurück und öffnete eines der beiden Fenster. Fahles Mondlicht beschien den Rasen und die Hecke. Am Himmel blinkten Sterne. Weggeschlossen. Es war still im Haus, alles schlief. Plötzlich schrie die Eule, die zwischen den Buchen Jagd auf Beute machte. Cony, Bund, weggeschlossen.
    Unvermittelt kam ihr Toby Lazender wieder in den Sinn. Sie hatte wieder eine Vorstellung von seinem Aussehen, das Bild, das sie wochenlang nicht hatte wachrufen können. Sie lächelte, nunmehr entschlossen davonzulaufen, und sie wusste, dass er derjenige war, an den sie sich wenden würde. Vielleicht erinnerte er sich an sie, doch auch wenn er es nicht täte, wäre ihr seine Hilfe gewiss, denn er hatte sich an jenem Nachmittag großzügig und freundlich gezeigt. Sogleich aber verließ sie wieder der Mut. Wie sollte sie ohne Geld nach London gelangen?
    Seufzend schloss sie das Fenster. Es war wieder vollkommen still. Weggeschlossen. Jetzt erinnerte sie sich! Sie erinnerte sich an die Beisetzung ihrer Mutter vor vier Jahren, an das Schluchzen unter den Frauen, an die lange, lange Predigt von Treu-bis-in-den-Tod Hervey, in der er Martha Slythe mit der biblischen Martha verglichen hatte. Und sie erinnerte sich auch an das Wort «weggeschlossen». Ihr Vater hatte ein Gebet gesprochen, ein Gebet aus dem Stegreif, in dem er mit Gott gestritten und dieses Wort verwendet hatte. Nicht das Wort selbst war ihr, wie sie sich erinnerte, ungewöhnlich erschienen, sondern die Art und Weise, wie er es ausgesprochen hatte, nämlich nach einer langen, beklemmenden Pause.
    Das Echo seiner Stimme war zwischen den steinernen Säulen der Kirche verhallt. Unter den versammelten Trauergästen hatte sich Verlegenheit breitgemacht, denn alle fürchteten, dass Matthew Slythe zusammenbrechen werde. Das Schweigen dauerte an. Er hatte gesagt: «Ihr Erdenleben ist zu Ende gegangen, ihre Angelegenheiten sind …» Und an dieser Stelle waren seine Worte abgebrochen. Sie erinnerte sich an das Scharren von Füßen, an das Schluchzen der Haushälterin und daran, den Kopf gehoben zu haben, um einen verstohlenen Blick auf den Vater zu werfen. Der hatte sein Gesicht emporgewandt und eine Faust erhoben, und während sich das Schweigen in die Länge zog, war ihr deutlich geworden, dass er nicht zusammenzubrechen drohte. Er hatte einfach nur den Faden verloren, mehr nicht. Sie sah, wie er seinen schweren Kopf schüttelte, worauf er den begonnenen Satz schließlich mit dem Wort «weggeschlossen» beendete.
    Das war alles. Doch damals hatte sie sich über die Wortwahl ihres Vaters sehr gewundert. Wegschließen ließen sich wohl Wertgegenstände, nicht aber die Angelegenheiten einer Ehefrau. Fast alle anderen Erinnerungen an die Beisetzung waren verblasst. Sie wusste noch, dass es gestürmt und geschneit hatte und dass am offenen Grab von Kummer und Schmerz die Rede gewesen war. Weggeschlossen.
    Es war nicht viel, was Campion aus diesen Briefen von Martha Slythes Eltern erfahren konnte, im Wesentlichen nur, dass ein gewisser Cony im Leben ihrer Eltern eine Rolle gespielt hatte, als Matthew Slythe zu seinem Vermögen gekommen war. Sie fragte sich nun, ob das Siegel bloß als ein Geheimnis im Verborgenen lag oder aber tatsächlich weggeschlossen war. Womöglich im Zimmer ihrer Mutter?
    Sie beeilte sich, ihre Kleider in Ordnung zu bringen, löschte die Kerzen und öffnete die Tür. Der Schlüssel knirschte im Schloss. Sie erstarrte. Doch im Flur blieb es still. Auf leisen Sohlen schlich sie die Treppe hinauf in der Absicht, ihre Suche im Schlafzimmer der Eltern fortzusetzen, das jetzt leer war, aber von ihr und Scammell nach der noch vor ihrem Geburtstag im Oktober erwarteten Hochzeit bezogen werden sollte.
    Mit Ausnahme der Haushälterin schliefen alle Dienstboten im äußeren Trakt des Hauses, wo sich auch ihre eigene Schlafkammer befand.

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