Das Hexen-Amulett (German Edition)
was sie von den beiden Gattungen hielt. Advokaten waren für sie das Letzte. «Das sind Blutsauger», erklärte sie. «Wäre die Sünde nicht schon von Gott erfunden worden, hätten sie’s getan, allein schon aus Beutelschneiderei.» Ihre Ausführungen ließen darauf schließen, dass sie ihr Leben als gefährliche Gratwanderung betrachtete – zwischen der Bedrohung durch Krankheit auf der einen und den Ränken habgieriger Advokaten auf der anderen Seite. «Ich könnte dir Geschichten erzählen, Liebes», sagte sie, was sie dann auch tat. Viele dieser Geschichten waren so verwickelt, dass sie einem Anwalt zur Ehre gereicht hätten, doch endeten alle auf verblüffende Weise mit Mrs Swans souveränem Sieg über die gesamte rechtsprechende Zunft.
Aber für Campion stand fest, dass sie Sir Grenville Cony einen Besuch abstatten musste, und wieder einmal lächelte ihr das Glück zu. Ein Nachbar von Mrs Swan, ein französischer Schneider, wusste, wo Sir Grenville wohnte: in einem der großen Häuser am Strand.
Mrs Swan war entzückt. «Das trifft sich gut, Liebes, das ist ganz in der Nähe.» Sie fädelte einen gefärbten Seidenfaden in eine feine Nadel. «Richte ihm aus, dass er, wenn er Stickerei zu kaufen wünscht, nicht weit zu gehen braucht.»
An ihrem zweiten Nachmittag in London machte sich Campion auf den Weg. Sie trug ein schlichtes Kleid und hatte die Haare mit einer Haube bedeckt. Trotzdem merkte sie, dass die Männer auf der Straße zu ihr hinsahen und war froh, dass der Schneider sie begleitete. Jacques Moreau war ein älterer Mann mit guten Manieren. Er half ihr über den verkehrsreichen Strand und fragte höflich: «Werdet Ihr auch allein zurückfinden, Miss Slythe?»
«Ich glaube ja. Ihr seid sehr freundlich.»
«Nein, nein. Es kommt nicht häufig vor, dass ich mit einer solchen Schönheit spazieren gehe. Es war mir ein Vergnügen, Miss Slythe. Da ist es.»
Conys Haus war nicht so groß wie manche andere am Strand, kein Vergleich mit dem Palais Northumberland oder York House, aber dennoch sehr beeindruckend. Aus dunklen Backsteinen gemauert, erhob es sich über mehrere Stockwerke zu einer hohen Balustrade, zu deren Seiten zwei aus Stein gemeißelte Skulpturen thronten. Die hohen Fenster waren von innen mit samtenen Vorhängen bedeckt. Vor dem Portal hielt ein Mann Wache, der mit einer Pike bewaffnet war. Er lächelte Campion einfältig an und sagte zu Jacques Moreau rüde: «Was will Er hier?»
«Die Lady hat in geschäftlichen Angelegenheiten mit Sir Grenville zu reden.»
«In geschäftlichen Angelegenheiten, so, so.» Er maß Campion vom Scheitel bis zur Sohle und ließ sich Zeit dabei. «Und was wären das für geschäftliche Angelegenheiten?»
Sie hatte sich vorgenommen, bescheiden und demütig aufzutreten, war aber nun über das Verhalten des Mannes verärgert. «Angelegenheiten, über die Sir Grenville ganz gewiss nicht mit dir zu diskutieren wünscht.»
Sie hatte anscheinend genau den richtigen Ton getroffen, denn er schnaubte und deutete mit einer ruckartigen Bewegung des Kopfes zur Seite. «Hier geht’s lang», sagte er, diesmal etwas respektvoller.
An der Ecke des Hauses verabschiedete sich Campion vom Schneider und trat dann in den engen Durchgang. Er führte zum Fluss hinunter, wo sie die Sonne auf dem Wasser glänzen sah und dahinter das öde Lambeth-Moor.
Nach etwa zwei Dritteln des Wegs durch die Gasse traf sie auf eine Tür, hinter der sie die Kanzlei von Sir Grenville Cony vermutete. Einen Wachposten gab es nicht. Sie klopfte an.
Niemand antwortete. Stimmen und Karrengeräusche drangen von der Straße herüber. Auf der anderen Seite war das Plätschern des Stroms zu hören. Aus dem Haus aber drang kein Laut. Sie wurde plötzlich nervös. Sie spürte das goldene Siegel auf der Haut, das sie daran erinnerte, dass in diesem Haus das Geheimnis des Bunds verborgen lag. Dies könnte ihre Chance sein, sich dem Zugriff zu entziehen, den ihr Vater durch sein Testament und die mit Scammell vereinbarte Heirat immer noch auf sie hatte. Campion fasste sich ein Herz und klopfte erneut.
Sie wartete. Sie wollte gerade ein drittes Mal anklopfen und suchte mit den Augen schon nach einem Stein, mit dem sie lauter an die schwere Holztür schlagen könnte, als eine winzige Klappe aufging.
«Siehst du die Glocke nicht?», herrschte sie eine Männerstimme an.
«Eine Glocke?»
«Zu deiner Rechten.»
Erst jetzt entdeckte sie im Schatten einer Mauernische eine Kette mit eisernem
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