Das Hexen-Amulett (German Edition)
Handgriff. Der Mann hinter der Klappe schien zu erwarten, dass sie sich entschuldigte, was sie nun auch tat. Halbwegs besänftigt, fragte er: «Was willst du?»
«Ich möchte Sir Grenville Cony sehen, Sir.»
«Sir Grenville sehen? Das wollen alle. Warum wartest du nicht, bis er in seiner Kutsche vorbeifährt? Oder auf seinem Boot? Dann siehst du ihn gut genug.»
Campion konnte das Gesicht des Mannes mit der gereizten Stimme nicht erkennen, sie sah nur das Glitzern eines Auges und den halben Bogen einer Nase, die sich an das Eisengitter der Luke drückte. «Ich habe mit Sir Grenville Geschäftliches zu bereden, Sir.»
«Geschäftliches!» Der Mann tat so, als sei ihm dieses Wort völlig unbekannt. «Geschäftliches! Wenn du einen Bittbrief hast, gib ihn her. Na los!» Das Auge und die Nase verschwanden, nun streckten sich die Finger einer Hand durch die Luke.
«Ich habe keinen Bittbrief.»
Sie fürchtete schon, der Mann sei gegangen, denn als seine Finger verschwunden waren, blieb es lange still. Dann aber zeigte sich wieder das glitzernde Auge. «Keinen Bittbrief?»
«Nein.»
«Weiß Mr Cony von dir?», knurrte der Mann.
«Er kennt meinen Vater, Sir.»
«Augenblick.»
Die Klappe fiel zu, und im Haus war es wieder totenstill. Campion trat einen Schritt von der Tür zurück und starrte hinunter auf den Fluss. In dem schmalen Ausschnitt, den sie sehen konnte, glitt ein Schleppkahn vorüber, angetrieben von Männern, die, an Deck stehend, lange Ruder durchs Wasser zogen. Nacheinander kamen drei schwere Kanonen in Sicht, die auf dem Ladedeck vertäut waren – tödliche Fracht für den Krieg im Westen.
Die Klappe ging wieder auf. «Mädchen!»
«Sir?»
«Name?»
«Dorcas Slythe», antwortete sie, denn ihr war klar, dass ein erfundener Name jetzt nicht weitergeholfen hätte. Sie hörte eine Schreibfeder über Papier kratzen.
«Dein Anliegen?»
Ihr Zögern provozierte ein ungeduldiges Grummeln auf der anderen Seite der Tür. Sie hatte erwartet, dass man sie eine Weile warten, dann aber ins Haus eintreten ließe, und war deshalb auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen. Kurz entschlossen antwortete sie: «Der Bund, Sir.»
«Der was?» Die Stimme verriet keinerlei Interesse. «Bund? Welcher?»
Sie dachte nach. «Der Bund des Apostels Matthäus, Sir.»
Wieder kratzte die Schreibfeder übers Papier. «Sir Grenville ist nicht zu Hause. Du kannst ihn also heute nicht sehen. Für die Öffentlichkeit ist er mittwochs zu sprechen, allerdings nicht diesen Mittwoch, denn da hat er zu tun. Nächsten Mittwoch. Komm gegen fünf. Nein. Sechs. Am Nachmittag», fügte er widerwillig hinzu.
Sie nickte mit dem Kopf, enttäuscht, dass sie so lange auf eine Antwort warten sollte. Der Mann schnaubte. «Aber wahrscheinlich wird er dich auch dann nicht empfangen, alles nur Zeitvergeudung.» Er lachte. «Guten Tag!» Die Klappe fiel zu. Campion drehte sich um und kehrte über den Strand zurück zu Mrs Swan.
In einem großen komfortablen Zimmer des Hauses, das sie soeben verlassen hatte, stand Sir Grenville Cony am Fenster und starrte dem Lastkahn hinterher, der sich in der Flussbiegung von Lambeth langsam entfernte. Kanonen für das Parlament, wahrscheinlich gekauft von dem Geld, das er für einen Zinssatz von zwölf Prozent verliehen hatte. Doch Freude darüber empfand er keine. Sein Magen machte Beschwerden.
Er hatte zu viel gegessen, drückte mit der Hand auf den mächtigen Bauch und fragte sich, ob das Grimmen auf der rechten Seite womöglich von einer Verstopfung herrührte. Der Schmerz nahm zu und war so heftig, dass er das Gesicht verzog. Er würde nach Dr. Chandler schicken lassen.
Sein Sekretär hielt sich, wie er wusste, zurzeit im Unterhaus auf, also ging er selbst in die Buchhaltung. In diesem Moment kam einer der Schriftführer, ein spindeldürrer Kerl mit Namen Bush, durch die Hintertür hereingeschlichen. «Bush!»
Bush fuhr vor Schreck zusammen. «Sir?»
«Warum steht Er nicht an seinem Pult? Hat Er sich wieder auf meine Kosten herumgetrieben? Ist wieder die Blase schuld? Der Darm? Antworte, Beliar’scher Nichtsnutz!»
«Es war», stotterte Bush, «es war da jemand an der Tür.»
«An der Tür? Ich habe die Glocke nicht gehört. Korrigier mich, Sillers», sagte er an den Hauptschriftführer gewandt. «Hat etwa die Glocke geläutet?»
«Es wurde angeklopft, Sir.» Sillers zollte seinem Herrn Respekt, war aber nicht unterwürfig.
«Wer hat geklopft? Fremde an meiner Tür, empfangen von Bush.
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