Das Hexen-Amulett (German Edition)
besprenkelt mit gelbem Licht aus Hunderten von Fenstern über der schimmernden Gischt des Wassers, das sich an den Brückenpfeilern brach. Von weitem hörte er schon das Rauschen, als das Boot aufs Ufer zusteuerte.
Die Fährmänner verlangsamten die Fahrt, um Wrackteilen auszuweichen, die im Fluss lagen, Überreste aus verfallenen Werften. Vorsichtig schleusten sie das Boot auf Scammells Anlegestelle zu. Aus den Schatten im Hintergrund trat ein hell erleuchtetes Fenster hervor. Wellen schwappten ans Boot. Der Mann im Bug langte nach dem Poller. Toby gab den Schiffern die versprochene Münze, sprang auf den Steg und schaute dem Boot nach, das sich lautlos entfernte.
Er sah sich nach der großen, weiß lackierten Barke um, auf der seine Liebste entführt worden war, entdeckte aber nur einen kleinen Kahn mit eingeholten Rudern, der im Schlick lag und von dunklen Wellen umspült wurde. Unterm Pier und auf dem Gelände der Werft war das Scharren und Fiepen von Ratten zu hören.
Eine Stimme ließ ihn vor Schreck zusammenfahren. Doch erleichtert stellte er fest, dass sie von der Nachtwache an der Thames Street stammte. «Die Uhr hat elf geschlagen. Wahrt Feuer und Licht, dass kein Unglück g’schicht.»
Mit der Linken hielt Toby die Schwertscheide gefasst, um zu vermeiden, dass sie irgendwo anschlug, als er auf das Haus zuschlich. Im Hof war es so dunkel, dass er nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Er hielt inne und lauschte angestrengt. Nichts rührte sich. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Rechts von ihm erhob sich das Haus mit nur einem beleuchteten kleinen Fenster. Das große Fenster, das er vom Fluss aus gesehen hatte, war von der Stelle, an der er sich jetzt versteckt hielt, nicht zu sehen. Linker Hand standen zwei hohe Schuppen. In dem einen lagerte offenbar Bauholz, in dem anderen zeichneten sich die Umrisse unverplankter Bootsgerippe ab. An der äußeren Hofmauer war neben dem großen Tor, das zur Thames Street hinausführte, ein seltsamer, kleiner Steinverhau zu erkennen, aus dem ein schwacher Schein von dunkelroter Glut nach draußen drang. Zuerst glaubte Toby, dort sitze ein Wachposten bei einem Feuer, doch es rührte sich nichts. Und als er dann den Geruch von Pech wahrnahm, wusste er Bescheid. Natürlich!
Er fasste einen Plan und lächelte. In dieser Werft musste es Unmengen von Pech geben, jener zähen, beißend stinkenden Substanz, mit der die Boote kalfatert wurden. Weil es viel zu zeitaufwändig wäre, den mit Pech gefüllten großen Kessel an jedem Morgen aufs Neue zu erhitzen, brannte das Kohlefeuer darunter rund um die Uhr.
Er schlich weiter, diesmal auf das große beleuchtete Fenster zu. Fast hätte er seiner Wut freien Lauf gelassen, als er hinter dem Fenster seine Liebste in den Klauen eines stämmigen Mannes gefangen sah. Rechts von den beiden stand ein in Schwarz gekleideter Mann, auf der linken Seite eine Frau. Ein dritter, ältlicher Mann in schäbiger Soutane stand, ein Buch vor sich aufgeschlagen, der Gruppe gegenüber. Eine Trauung.
Die Lippen des Priesters bewegten sich, und es drängte Toby, das Fenster einzuschlagen, einzubrechen und sein Schwert zu schwingen.
Aus der Stadt ertönte Glockenläuten. Die Glocken von Southwark antworteten mit ihrem Stundenschlag. Ihr Klang ließ Toby zur Besinnung kommen. Blinde Wut half ihm jetzt nicht weiter, wahrscheinlich würde er schon auf dem Weg durchs Fenster überwältigt werden. Stattdessen besann er sich auf den zuvor gefassten Plan.
Noch mehr als Krieg fürchteten die Bewohner Londons Feuer und Pest. Die Pest war das schlimmste Übel, drohte aber weniger häufig als eine Feuersbrunst. Die zumeist aus Holz gebauten Häuser mit ihren Strohdächern standen so dicht beieinander, dass sich die Flammen in rasender Geschwindigkeit ausbreiten und große Teile der Stadt in kürzester Zeit verwüsten konnten. Die Bürger waren darauf vorbereitet und wussten schnell zu reagieren. An jeder Straßenecke standen lange Hakenstangen parat, um brennendes Stroh von den Dächern zu reißen, und Äxte, um Türen einzuschlagen. Mit Schießpulverladungen wurden dann die Häuser rings um den Brandherd gesprengt, um eine Schneise zu schlagen, die das Feuer eindämmte. Zwar stand seit jüngster Zeit eine Pumpe zur Verfügung, mit der Löschwasser bis zu dreißig Fuß weit gespritzt werden konnte, doch die war meist erst zur Stelle, wenn das Feuer schon tobte. Den größten Feind Londons, das Feuer, wollte sich Toby in dieser Nacht zum
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