Das Hexenbuch von Salem
heraus.
»Schön wär’s«, sagte Connie. Es war überhaupt nicht klar, wie das Buch wohl katalogisiert worden war. In gewisser Weise war seine Nähe, so aufregend sie war, auch frustrierend. Widener, die Hauptbibliothek von Harvard, konnte es an Weitläufigkeit und Bestückung durchaus mit der New York Public Library aufnehmen. Obwohl Connie, wie die meisten Doktoranden, einen festen Arbeitsplatz in der Bibliothek hatte, für die sie eine Art besitzergreifender Zuneigung
hegte, waren die Magazine der Universitätsbibliothek ein gewaltiger Moloch für sie, die sich wie ein Maulwurfsbau nach allen Himmelsrichtungen unter den Gängen des Yards erstreckte – eine Weite, für die man beinahe einen Kompass gebraucht hätte, um sich darin zurechtzufinden, wenn man auf der Suche nach einem ganz bestimmten Buch war. Sie sah der Aufgabe, die vor ihr lag, nicht gerade mit Freuden entgegen.
»Es ist natürlich nicht gesagt, dass du es überhaupt finden musst«, wagte sich Grace vor.
Connie biss die Zähne zusammen und fuhr mit den Fingerspitzen über eine pausbäckige irdene Teekanne auf Grannas Beistelltisch. »Chilton will, dass ich bei seiner großen Präsentation auf der Jahreskonferenz der Colonial Association im Herbst mitwirke. Wenn ich das machen soll, muss ich das Buch finden.«
»Und wirst du das tun? Du klingst nicht besonders begeistert.« Grace hielt ihren Ton bewusst nachsichtig, aber Connie hörte dennoch einen Hauch von Vorwurf heraus. Einen Moment lang rutschte der Hörer am anderen Ende der Leitung weg, wurde wieder an Graces Schulter geklemmt, und Connie wusste, dass sie irgendwie mit den Händen beschäftigt war.
»Es ist eine wunderbare Gelegenheit«, sagte Connie, wobei sie bemerkte, dass sie so klang, als versuche sie nicht nur ihre Mutter, sondern auch sich selbst zu überzeugen.
»Das sagtest du bereits«, kommentierte Grace. Dann kam ein leiser Fluch: »Verdammt!«
»Was machst du eigentlich?«, fragte Connie. »Du bist doch nicht beim Kochen, oder?«
»Nein«, sagte Grace zwischen zusammengebissenen Zähnen durch. »Ich versuche nur, einige von meinen Sukkulenten umzutopfen. Dieses Wetter ist einfach tödlich für sie.
Ich steche mich dauernd an den Stacheln.« Connie hörte, wie ihre Mutter eine blutende Handfläche zu Munde führte und daran leckte.
»Das sind doch Kakteen«, sagte Connie. »Müssten die nicht eigentlich heißes Wetter mögen?«
»Ja, aber nicht so. Das liegt an der Erderwärmung«, sagte Grace abgelenkt, und Connie schloss aus dem Klang ihrer Stimme, dass sie gerade ihre Wunde begutachtete. »Es ist ein natürlicher Kreislauf, der jedoch durch das Ozonloch unglaublich beschleunigt wird. Meine armen Aloepflanzen kriegen das einfach nicht auf die Reihe.«
»Ozonloch?«, wiederholte Connie.
Grace seufzte. »Du solltest ab und zu mal Zeitung lesen, mein Liebes.«
Connie schaute auf ihre von der Decke baumelnde Grünlilie. »Ich …« Sie hielt inne, weil sie Grace gerne nach der Karteikarte mit dem lateinischen Spruch gefragt hätte, aber nicht sicher war, wo sie anfangen sollte. »Bei mir sind, seit ich hier bin, auch ein paar komische Sachen mit den Pflanzen passiert.«
»Oh, das überrascht mich gar nicht«, sagte Grace. »Als junges Mädchen, bevor du dich ins Studium gekniet hast, hattest du einen richtigen grünen Daumen.«
»Es ist schon ein bisschen ausgeprägter als das«, sagte Connie mit gedämpfter Stimme. »Mom, ich hab einen Stapel alter Rezeptkarten von Granna in der Küche gefunden, und … es ist was geschehen, was ich mir nicht erklären kann.«
Ihre Mutter lachte leise. »Ach, weißt du«, sagte sie, »es wäre überheblich, wenn wir annehmen würden, wir könnten immer alles erklären. Nimm bloß zum Beispiel die Beziehung der Menschen zu ihrer Umwelt. Ich bin teilweise deshalb hierhergezogen, weil mir diese Region der Erde andere Dinge beibringen kann als Neuengland. Die Luft ist anders,
das Licht ist anders, die Pflanzen, der Boden. Unsere Körper sind lebende, atmende Organismen, weißt du – das wird leicht vergessen. Wir werden von den Rhythmen der Welt um uns herum zutiefst beeinflusst. Die meisten Menschen wissen nicht, dass sich die Erde in Zyklen bewegt, nicht nur nach den Jahreszeiten, sondern auch auf einem größeren Level. Sie denken, die natürliche Welt mache einfach immer so weiter und sei in einem ständigen Zustand des Stillstandes. Das ist wirklich dumm.«
»Mom«, versuchte Connie einzuwerfen.
»Nimm doch mal diese ganze
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