Das Hexenbuch von Salem
Buches deutlich zu verschieben und das Buch selbst seine Kontur zu verändern, je nach dem, wer es beschrieb. Keine der Quellen hatte dabei jedoch einen, wie auch immer gearteten konkreten Titel genannt. Es war sogar wahrscheinlich, dass das Buch gar keinen hatte.
Sie hatte also keinen Titel, kein genaues Erscheinungsjahr und keinen Autorennamen, nach dem sie schauen konnte. Was sie wusste, waren das ungefähre Alter des Buches und das genaue Jahr, wann es an Harvard gestiftet worden war. Doch im Gegensatz zu Museen dokumentierten Bibliotheken oft nicht das Schenkungsjahr eines bestimmten Buches. Oder doch? Als Test schaute Connie unter Onkel Toms Hütte nach, einfach um zu prüfen, wie die verschiedenen Ausgaben dieses Buches katalogisiert waren. Und es war wie vermutet: In den Einträgen fand sich keine Info über die Akquisition. Nur Erscheinungsjahr und Einzelheiten zur Ausgabe. Connie fluchte leise. Der Vollständigkeit halber schaute sie noch nach, ob
es einen Oberbegriff oder ein Schlüsselwort gab, das sie zur »Sammlung des Salemer Athenäums« geführt hätte, doch Fehlanzeige.
Sie verbrachte einige Minuten damit, in verschiedenen Schubladen unter diversen Themenbereichen nachzusehen, indem sie sich versuchsweise die Standorte von einigen Kandidaten notierte, aber das war frustrierend, und ihr war bewusst, dass sie mit dieser Methode höchstens einen Zufallstreffer erzielen konnte. Da gab es einen privat publizierten Almanach, aufgeführt als erschienen in den Siebzigerjahren des siebzehnten Jahrhunderts, in der Spezialsammlung, ohne Angabe eines Verfassers. Ein Buch über Heilkräuter und Gemüse, ebenfalls ohne Autor, Entstehung geschätzt auf etwa I660. Ein frühes medizinisches Lehrbuch, etwa um I680 in England veröffentlicht und von einem Professor in Oxford verfasst. Kurz zog sie in Erwägung, auch unter den alchemistischen Führern und Lehrbüchern nachzuschauen, verwarf die Idee jedoch wieder. Wenn Chilton in all den Jahren, die er sein Fachgebiet abgegrast hatte, nicht darauf gestoßen war, dann war es dort auch nicht abgelegt. Connie fand noch ein paar andere Möglichkeiten, doch als sie sich die Signaturen notierte, wurde ihr bewusst, dass es ebenso wahrscheinlich war, auf diese Weise auf das Buch zu stoßen, wie in der Mitte des Yards über einen Goldbarren zu stolpern.
Ihre Laune verfinsterte sich. Connie machte sich auf den Weg durch eine Reihe von überwölbten Marmorfluren, bis sie den Tresen der Spezialsammlung erreichte. Sie gab ihre Liste von Signaturen, ihren Sonderausweis und ihren Studentenausweis dem gelangweilten Bibliothekar, der sich nicht einmal die Mühe machte, das Solitärspiel auf seinem Computerbildschirm wegzuklicken, bevor er sie durch die Tür winkte, die zu den Magazinen führte.
Obwohl sie an die einzigartigen körperlichen Begleiterscheinungen
der Arbeit in Archiven gewöhnt war, an den Staub, der einem die Nasenflügel verklebte, oder den steifen Hals, den man vom ewigen Schieflegen des Kopfes beim Lesen der Buchrücken bekam, war Connie nicht ganz auf das Gefühl vorbereitet, das sie ereilte, als sie im Magazin der Spezialsammlung umherwanderte. Die meisten älteren Bücher verströmen eine ganz spezielle Geruchsmischung aus Silberfischchen, Moder und sich auflösendem Leder. Selbst Harvard mit seinem steten Fluss an Geldmitteln und der leidlich konstanten Klimakontrolle konnte diese Bücher nicht vor der Beanspruchung ihrer kostbaren Bindungen durch die fortschreitende Zeit abschotten. Die Bibliothek hatte als Sondermaßnahme damit begonnen, die empfindlichsten Bände auf Mikrofiche aufzunehmen und dann die Originale vor den fettigen Fingern neugieriger Studenten wegzuschließen, aber das war eine Sisyphusarbeit.
Sie tapste zwischen den Regalen hindurch, durch die wahrscheinlich bestenfalls ein halbes dutzend Mal im Jahr jemand ging, und all die Bücher um sie herum erfüllten den Raum mit einer schier körperlich spürbaren Aura, als hätte jedes von ihnen einen winzigen Bruchteil der Essenz vergangener Generationen in sich aufgesogen, die sich an ihnen zu schaffen gemacht hatten. Durch diese beklommene Atmosphäre bewegte sich Connie hindurch und schob dabei vorsichtig die Anklänge menschlicher Präsenz – von Lesern, Schriftstellern, Besitzern und Kommentatoren – beiseite, die wie unsichtbare Ranken aus den Büchern wuchsen und sich in der Zugluft bewegten.
Schließlich erreichte sie den Gang, in dem das erste Buch auf ihrer Liste stand, und spähte mit
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