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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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langsam auf die ganze Fläche ausbreitete.
    In der Zwischenzeit war der Hund in aller Seelenruhe aufgestanden. Er streckte die Vorderpfoten weit nach vorne, um sich genüsslich zu dehnen, und gähnte. Dann ließ er den Grabstein, an dem er geschlafen hatte, hinter sich, und als der Mann noch einmal hinschaute, um ihn auszuschimpfen, war das Tier wie durch Zauber verschwunden.
    Der Grabstein selbst, dessen Umrisse langsam in der hereinbrechenden Dunkelheit verschwammen, war aus Schiefer. Er steckte krumm im Boden, die Kanten waren schartig und gesprungen, und die eingemeißelten Schriftzüge waren im Lauf der Zeit und durch die Witterung wie weggewaschen. Doch wenn man genau hinschaute, hätte der erste Buchstabe des Namens auf dem Grabstein durchaus ein D sein können.

POSTSKRIPTUM
    Wahrhaftige Hexen und das wirkliche Leben
     
    Die Hexenprozesse von Salem aus dem Jahre I692 kann man wohl weder für einen Historiker noch für einen Romanautor als Neuland bezeichnen. Wenn die Prozesse jedoch in der Literatur oder Geschichtsschreibung auftauchen, wird im Allgemeinen angenommen, sie seien stellvertretend für etwas anderes geführt worden. Da heißt es in einigen Interpretationen, zu dem Hexenwahn sei es aufgrund gesellschaftlicher Rivalitäten zwischen Salem und dem heutigen Danvers (damals Dorf Salem) gekommen; in anderen macht man dafür Spannungen rund um die sich wandelnde Rolle der Frau in der Kultur der Kolonie verantwortlich. Manchmal heißt es sogar, die besessenen Mädchen hätten schimmliges Brot gegessen, was bei ihnen zu Halluzinationen führte. Doch bei all diesen Schilderungen wird gewöhnlich eines übersehen: dass es für die Menschen, die dem Hexenwahn von Salem beiwohnten, bei den Prozessen tatsächlich um Hexerei ging. Alle, die daran beteiligt waren – die Richter, die Geschworenen, die Kirchenmänner, die Ankläger und Verteidiger – lebten in einem religiösen System, für das es außer Zweifel stand, dass es Hexen gab, ganz gleich in welcher Form, und dass der Teufel mit menschlichen Helfern auf Erden Unheil anrichten konnte. Als ich begann, über das Hexenbuch von Salem nachzudenken, beschloss ich, die Bewohner von Salem endlich einmal beim Wort zu nehmen
und mir die Frage zu stellen: Was, wenn es Hexerei wirklich gibt?
    Und bis zu einem gewissen Grad gab es Hexerei tatsächlich, wenngleich nicht auf die Art und Weise, wie wir sie heute sehen. Im England des Mittelalters und der frühen Neuzeit gab es eine lange Tradition des sogenannten »weisen Volkes«, Menschen also, die mit okkulten Dienstleistungen ihr Brot verdienten, was von einfacher Hellseherei über das Auffinden verlorener Besitztümer bis zur Heilung bestimmter Krankheiten rangierte. Insbesondere waren diese Menschen darauf spezialisiert, eine Behexung wieder aufzuheben; hatte jemand den Verdacht, von einer Hexe mit einem Zauber belegt worden zu sein, war eine weise Frau (oder ein weiser Mann) die beste Adresse, um sich davon befreien zu lassen. Gewöhnlich handelte es sich dabei um gewiefte Geschäftsleute, deren Ruf immer eher suspekt war; schließlich konnte man davon ausgehen, dass jemand, der einen Zauber aufheben konnte, durchaus auch die Fähigkeit hatte, einen Menschen damit zu belegen.
    Die meisten Angehörigen dieses »weisen Volkes« kamen aus dem handwerklichen Milieu statt aus dem bäuerlichen, zum einen deshalb, weil Menschen, die einem Gewerbe nachgingen, flexibler in ihrer Zeiteinteilung waren, um Kunden aufzusuchen, aber auch, weil sie wahrscheinlich eher gebildet waren. Die üblichen Zaubersprüche stammten sowohl aus veröffentlichten Grimoires als auch aus Zauberbüchern, die vom Lateinischen ins Englische übertragen worden waren, oder sie gingen auf Praktiken zurück, die bis zum präreformatorischen Christentum zurückreichten. Man geht davon aus, dass die Tradition des »weisen Volkes« nicht zusammen mit den Pilgervätern nach Neuengland gekommen war, zum einen wegen der extremen Form des Protestantismus, den diese praktizierten und in dem sogar das Weihnachtsfest als
»heidnisch« verpönt war, zum anderen auch wegen der Neuheit des physikalischen Raumes der Neuen Welt. Die taktil spürbaren Qualitäten des Magischen, die sich aus ganz besonderen Objekten, besonderen Gebeten und der Praktizierung an besonderen Orten ergab, war untrennbar mit den von Geistern heimgesuchten Landstrichen der Alten Welt verbunden.
    Oder etwa doch nicht? Als der Hexenwahn in Salem ausbrach, machte Mary Sibley, eine Frau aus

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