Das Hexenbuch von Salem
durchdrang.
»O mein Gott«, sagte Liz und schaute auf einen Punkt in mittlerer Entfernung. Sie blinzelte, blieb dann stehen und wandte sich Connie zu. »O mein Gott . Radcliffe? Ich dachte, du hättest gesagt, dieser Industrielle aus dem achtzehnten Jahrhundert, Mr. Soundso, hätte all die Bücher aus dem Salemer Athenäum an Harvard gestiftet?«, sagte sie einen Tick lauter.
»Ja«, erwiderte Connie, und ihr Mund öffnete sich zu einem breiten Grinsen. »Erinnerst du dich noch, dass ich nie richtig festmachen konnte, als was das Buch beschrieben wurde? Hier war es ein Almanach, dort ein Buch der Schatten, dann wieder ein Rezeptbuch …«
»Heiliger Strohsack!«, sagte Liz, und Begreifen glitzerte in ihren Augen.
»Genau«, sagte Connie.
»Das ist nicht dein Ernst«, rief Liz aus und schlug sich mit der Hand an die Stirn.
»Radcliffe«, fuhr Connie fort, und setzte ihren Weg in Richtung Studentenheim fort, »hat, wie wir alle wissen, eine der renommiertesten Kochbuchsammlungen der Welt.«
»Unglaublich«, hauchte Liz. »Kein Wunder, dass Chilton es nie gefunden hat.«
»Ja«, sagte Connie und errötete ein wenig. Sam streckte hinter Liz’ Rücken eine Hand aus und streichelte Connie über den Arm.
»Es ist also immer noch irgendwo dort?«, fragte Liz und nahm wieder an Geschwindigkeit auf.
»Ja. Ich habe einfach ein paar Kleinigkeiten auf der Karteikarte abgeändert«, gestand Connie. »Hätte ich wahrscheinlich nicht machen sollen. Aber so weiß ich wenigstens, dass der Text überlebt, verborgen in den Archiven. Obwohl ich glaube« – sie hielt inne und schaute zu Sam -, »dass Grace Recht hatte.«
»Wie meinst du das?«, fragte Sam und strich Connie eine Haarsträhne aus der Stirn. Während er das tat, torkelte eine Gruppe Studenten über die Straße und rief sich dabei gutmütige Neckereien zu. Eines der Mädchen, das an ihnen vorbeirauschte, trug ein langes, bauschiges schwarzes Kleid und hatte einen breitkrempigen, spitzen Hut auf dem Kopf. Es zog einen Besen hinter sich her und hatte eine Plüschkatze in den Armen.
»Ich glaube nicht, dass wir es brauchen«, sagte Connie, und ihre blassen Augen leuchteten in der Nacht.
Etwa um diese Zeit, gute dreißig Kilometer von Cambridge entfernt, auf der Straße am Meer, wurde es über Marblehead langsam finster. In der Ferne wurde eine Kanone gezündet, kurz darauf noch einmal, und ein weiteres Mal, und die Schüsse hallten an der Granitoberfläche der Klippen wider, während man in den Yachtclubs rund um den Hafen den Sonnenuntergang verkündete. Auf der nördlichen Seite der Altstadt, vorbei an der Milk Street und einer Bootswerft voller aufgebockter alter Bootsrümpfe, deren Böden in
der Dunkelheit leuchteten wie Elefantengerippe, schlenderte ein älteres Paar auf dem höchsten Hügel des alten Friedhofs umher. Sie näherten sich einer Bank, die auf dem Gelände des allerersten Bethauses der Stadt aufgestellt worden war, das es schon lange nicht mehr gab. Von dort aus hatte man die beste Aussicht auf den Hafen, wenn bei Sonnenuntergang eine ganze Farbpalette aus Lavendelblau, Orange und Grau auf der Wasseroberfläche lag. Die beiden ließen sich auf der Bank nieder und lehnten ihre müden Rücken mit einem Seufzer der Erleichterung an. Eine Weile saßen sie einfach nur da, atmeten genüsslich die salzige Luft ein, die seitlich den Hügel hochgeweht wurde und vom Wasser das leise Klirren der Segelbootmaste und ein paar Rufe von spielenden Kindern mit sich brachte.
»He!«, rief der Mann, der gerade aus seiner Träumerei erwacht war. »Hier oben sind Hunde nicht erlaubt! Hau ab da!« Er klatschte in die Hände, um einen eher kleinen Hund zu verscheuchen, der, in dem Gras auf dem Hügel kaum sichtbar, an einem der Grabsteine zusammengerollt ein Nickerchen gemacht hatte. Das Tier hob träge den Kopf und schaute den Mann an.
»Na los, hau ab«, sagte der Mann. »Ab nach Hause! Los!«
Die Frau schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Das sind diese Leute, die neu hierherkommen«, murmelte sie dem Mann zu und tätschelte ihm beschwichtigend den Arm. »Die kümmern sich einfach um gar nichts.«
»Ein bisschen Respekt könnten sie aber schon haben«, nörgelte der Mann und schlang seinen Arm beschützend um seine Frau.
»Das stimmt«, pflichtete sie ihm bei und rückte näher an ihn heran. Auf der gekräuselten Oberfläche des Hafenwassers war der orangerote Schein einem vorrückenden Tintenblau
gewichen, das unter den Wellen hervorquoll und sich
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