Das Hexenbuch von Salem
das letzte Referat, das er vor der historischen Gesellschaft für amerikanische Kolonialgeschichte hielt, war dann etwas …« Sie schien nach dem richtigen Wort zu suchen. »Wörtlich«, beendete sie ihren Satz. »Es war eher wörtlich.«
»Wörtlich? Wie meinen Sie das?«, fragte Connie und beugte sich vor. Janines sanfter Atem streifte ihr Gesicht. Er roch schwach nach Pfefferminz.
»Haben Sie jemals von einem alchemistischen Begriff namens Stein der Weisen gehört?«, fragte Janine.
»Natürlich«, sagte Connie, deren Verwirrung immer größer wurde. »Das war doch eines der Hauptziele mittelalterlicher Alchemie, oder? Irgendeine sagenumwobene Substanz, die unedle Metalle in Gold verwandeln könnte, aber zugleich galt sie auch als Universalmedizin, mit der man jede Krankheit zu kurieren hoffte. Richtig? Allerdings wusste niemand genau, was es war oder aus welchen Elementen es bestand. Niemand kannte seine echte Farbe. Alle Beschreibungen dieser Substanz und ihre Rezepturen waren in Rätseln abgefasst. Nur Gott konnte dieses Geheimnis lüften.«
»Genau«, sagte Janine. »Eines der Rätsel besagt, dass der Stein der Weisen ein Stein ist, der keiner ist, etwas Wertvolles ohne Wert, etwas Unbekanntes, das jeder kennt. Nun, heutzutage betrachtet man die Alchemie landläufig als den historischen Vorgänger unserer modernen Chemie. Und in gewisser Weise stimmt das auch, denn durch die Alchemie haben die Gelehrten zum ersten Mal begonnen, mit Naturelementen zu experimentieren, um herauszufinden, ob man sie von einer Form in die andere verwandeln könne. Doch
viele Akademiker, darunter auch Chilton, haben die Betonung auf das religiöse Element mittelalterlicher Alchemie gelegt.«
»Religiös?«, fragte Connie.
»Gewiss«, erwiderte Janine. »Die Alchemisten arbeiteten auf Basis der Analogie. Für sie beinhaltet die Welt um uns herum Bedeutung, und die Strukturen des Universums spiegeln die Strukturen unseres Inneren wider. Das ist das gleiche Denken, das auch der Astrologie unterliegt: Die Bewegungen der Sterne und Planeten widerspiegeln uns ebenso wie sie uns beeinflussen, und wenn wir sie richtig interpretieren, können wir daraus Schlüsse für unser alltägliches Leben ziehen. Und so begann man, die Welt in Kategorien aufzuteilen, die auf ähnlichen Eigenschaften beruhen. Zum Beispiel hat man einerseits die Sonne, die für Hitze, Männlichkeit, Fortschritt, Trockenheit und den Tag steht. Und auf der anderen Seite hat man den Mond, der kalt ist und für das Weibliche steht, für Rückschritt, Feuchtigkeit, Nacht. Jede Substanz bestand aus den vier Grundelementen: Erde, Feuer, Luft und Wasser. Dann gab es noch die vier Grundeigenschaften: Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit. Alles auf der Erde, so dachten sie, könnte beschrieben werden, wenn man diese Kategorien verwendet. So könnte zum Beispiel Gold eine Kombination aus Sonne, Erde, Feuer, Hitze und Trockenheit sein, was seine Farbe, seine Beschaffenheit, seinen Nutzen beschreibt, was auch immer. Ich rate jetzt nur, aber Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich glaube schon«, meinte Connie vage, unsicher, ob sie begriff, worauf Janine hinauswollte. »Es ist bloß so seltsam, wenn man versucht, in diesen Begriffen zu denken. Gold ist doch einfach nur ein Element, oder?«
»Ja, aber das wusste man im Mittelalter noch nicht genau«, sagte Janine. »Die Welt war ein sonderbarer Ort, bevor
wir über Atome und DNS Bescheid wussten. Damals versuchte man herauszufinden, woraus die Welt genau bestand, aber nicht einfach nur, um sie besser zu verstehen, sondern um sie kontrollieren zu können. Alchemie besagt, dass diese Elemente und Eigenschaften durch begabte Männer manipuliert werden können, indem sie Substanzen dazu bringen, ihre Form zu verändern, jenseits all dessen, was die Natur vorsieht. Sie verglichen den Schmelztiegel, in dem Metalle geschmolzen wurden, mit dem menschlichen Körper, der ebenfalls Substanzen verwandelt – Nahrung und Wasser werden zu Knochen und Sehnen. Sperma verwandelt sich im Körper, wie ein Same, der in die Erde gelegt wird, und lässt aus dem Nichts etwas entstehen. Deshalb bedurfte es für die Suche nach dem Stein der Weisen oder des sogenannten Großen Werks oder Opus Magnum auch der allerreinsten Elemente und des größtmöglichen Talents. Es war wie eine Suche nach Perfektion, sowohl einer perfekten Substanz wie auch einer perfekten Seele.«
»Aber das ist doch alles Pseudowissenschaft«, protestierte Connie. »Das ist
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