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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Muenzer
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Sammlungen an alten Meistern und Statuen vor. Filomena
flüsterte: „Er ist nichts als ein gemeiner Dieb, das meiste davon hat er widerrechtlich
erworben. Glaub mir, wenn er den Florentinern Michelangelos David stibitzen
könnte, er würde es tun.“ Der Graf bestritt fast im Alleingang die Konversation.
Beatrice ließ ihn gewähren, doch Emilia gewann den Eindruck, dass die beiden
sich gegenseitig belauerten.
    Das Äußere
des Grafen war nicht direkt als unangenehm zu bezeichnen: Er besaß aristrokratische
Züge, eine Raubvogelnase und einen vollen, spöttischen Mund. Seine Kleidung
zeugte von erlesenem Geschmack. Emilia fiel einer seiner Ringe ins Auge: Ein
ungewöhnliches Stück aus Silber, das wie eine Schlange geformt war, die sich
selbst in ihren Schwanz biss. Endlich neigte sich der Abend dem Ende zu. Als
die Kutsche des Grafen vom Hof fuhr, waren sich die drei ungleichen Frauen
ausnahmsweise einmal einig und atmeten in einem kollektiven Seufzer auf.
     
    Neun Tage! Emilia durchlitt das gesamte Spektrum, welches das
Paradoxon Zeit zu bieten hatte. Einerseits ersehnte sie nichts anderes, als
endlich zu erfahren, was aus Emanuele geworden war. Handelte es sich bei dem
mysteriösen Gefangenen tatsächlich um ihn? Andererseits graute ihr vor der
Stunde, in der Beatrice erscheinen würde, um sie erneut in die unterirdische
Krypta zu geleiten. Schließlich war es soweit. Wieder hatten ihre Zofen die
junge Frau entsprechend vorbereitet. Dieses Mal wurde Emilia in ein weißes Gewand
aus fließender Seide gekleidet, ihre kleinen Füße steckten in goldenen Schnürsandalen.
Rosa hatte ihr Haar gewaschen und lange gebürstet. Wie schwarze Seide floss es
über ihren Rücken hinab, geschmückt mit einem einfachen Goldreif.
    Der Ablauf
glich dem ersten Mal bis aufs Haar: Beatrice erschien, umrahmt von den beiden
hochgewachsenen Schwarzen in ihrem Leopardenkostüm. Eigenhändig legte Beatrice
ihr den mitgebrachten Umhang aus schwarzem Tuch an und stülpte ihr die Kapuze
über den Kopf. Im so genannten Raum der Besinnung folgten letzte Anweisungen
durch Beatrice. Dann verschwand sie durch das zweite Portal. Nach quälend
langen Minuten ertönte der Gong, der sie hineinrief.
    Ohne
Verzögerung setzte sie sich in Bewegung, entschlossen diese Farce endlich
hinter sich zu bringen. Das Portal schwang lautlos vor ihr auf. Gespenstische
Stille schlug ihr aus der Krypta entgegen, die wie ein langer dunkler Tunnel
vor ihr lag. Allein das Podest am anderen Ende, auf dem Beatrice auf ihrem
merkwürdigen Thron saß, wurde durch wenige Kerzen erleuchtet. Der Rest lag im
Dunkel. Von irgendwoher wehte ein Luftzug. Das Aufflackern der Flammen warf
groteske Schatten an die nackten Felswände und zeichnete phantastische
Ungeheuer darauf.
    Emilia
spürte eine kaum merkliche Bewegung in ihrem Rücken. Unbekannte Hände lösten
die Schleife an ihrem Hals und nahmen ihren Umhang fort. Sie setzte sich in
Bewegung und passierte die Mitte des Raumes mit dem Opferstein. Sie hätte gerne
einen Blick darauf geworfen, doch eine Phalanx schwarzer Gestalten versperrte
ihr die Sicht darauf. Nachdem Emilia die Gruppe passiert hatte, öffnete sich
der Kreis hinter ihr. Emilia überkam das jähe Gefühl, dass irgendetwas nicht
stimmte. Entgegen ihrer Aussage befand sich Beatrice nicht allein auf dem
Podest. Sechs schwarze Gestalten lösten sich hinter ihr aus dem Halbdunkel und
rahmten sie ein. Ihrer Haltung haftete etwas Bedrohliches an. Beatrice war in
der Tat sofort aufgesprungen und fixierte einen Punkt hinter Emilia. Ihre
Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn, als sie rief: „Was geht hier vor?“
    Auch Emilia
wandte sich nun zum Opferstein um. Ein schwarzes Tuch verhüllte den Altar.
Darunter waren deutlich menschliche Umrisse erkennbar. Übelkeit stieg in ihr
auf.
    Der Mann,
der Beatrice am nächsten stand, hob die Hand und jemand zog das Tuch beiseite.
Er entblößte zwei nebeneinander ausgestreckte Körper. Ein Mann und eine Frau -
beide bis auf weiße Augenbinden vollkommen nackt.
    Schon
Beatrices Reaktion zeigte Emilia, dass dieses Vorgehen nicht dem üblichen
Ablauf des Initiationsritus entsprach. Oder handelte es sich hier womöglich um
eine von Beatrices teuflischen Finten? Hatte sie gelogen, als sie ihr
versichert hatte, ihre Initiation würde kein Blutopfer erfordern?
    Emilia
wandte sich dem Podest zu, um zu protestieren. Dort oben spielte sich Erstaunliches
ab: Zwei der Kapuzengestalten hatten Beatrice gepackt, stießen sie auf ihren
Thron

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