Das Hexenkreuz
schlafen. Ich
könnte in seinem Schweiß baden. Und ich mag ihn wirklich. Er ist klug, viel
klüger als die meisten Menschen. In seiner Heimat war er ein Häuptling, ein
Anführer seiner Rasse. Und warum soll die Hautfarbe einen Unterschied machen?
Sind wir nicht alle Gottes Geschöpfe, nackt geboren unter einem gemeinsamen
Himmel? Ich heiße zwar Mutters Methoden nicht gut, aber ich teile ihre Aversion
gegen die Kirche. Seit ihrem Bestehen behandelt sie die Frau als ein
minderwertiges Wesen. Sie ist rückständig, voller Dünkel und trauert ihrer
großen Zeit im Mittelalter nach. Sie bekämpft die modernen Wissenschaften und
bestraft anders Denkende. Wir müssen dieses archaische Denken hinter uns
lassen, ansonsten ist kein Fortschritt möglich. Es sind die Menschen und nicht
Gott, die mit ihren Gesetzen und ihren Vorurteilen den Unterschied bestimmen.
Ich halte alle Menschen für gleich, ob Mann oder Frau, ob weiß oder schwarz. Gott
hat uns so geschaffen, warum sollte der Mensch etwas dagegen haben? Ich stelle
mir manchmal vor, dass irgendwann alle Menschen die gleichen Rechte haben
werden. Wäre das nicht eine gerechte Welt, so wie Jesus sie einst gefordert
hat? Dann könnte jemand wie ich mit jemandem wie Ta-Seti zusammen sein, ohne
sich fürchten zu müssen. Aber so...“, Filomena seufzte, „können wir uns nur heimlich
treffen.“
Emilia hatte
Filomena noch niemals traurig erlebt. In einer spontanen Geste legte sie beide
Arme um sie und zog sie an sich. Filomenas Geständnis war gleichzeitig ein
Vertrauensbeweis und ein tiefer Einblick in ihre Gefühlswelt. In was für ein
Leben war dieses Mädchen hineingeboren worden? Geschlagen mit einer
sadistischen Mutter, die sie, den wissensdurstigen Freigeist, einsperrte?
Filomena
löste sich von ihr. „Ich sollte dich jetzt verlassen. Sicher tauchen deine
anhänglichen Zofen bald auf. Wir sehen uns beim Frühstück.“
Zwei Stunden
später betrat Emilia mit Rosa im Schlepptau den Hof. Ihre Kutsche, ein
protziges Gefährt in schwarzem Lack und mit dem Emblem der Herzöge von Pescara
geschmückt, erwartete sie. Zwanzig schwer bewaffnete Männer sammelten sich und würden
ihre Eskorte bilden. Beatrice sprach eindringlich auf einen gut aussehenden Mann
in den Mittzwanzigern ein, in dem Emilia unschwer den von Filomena angekündigten
Hauptmann Graziano vermutete. Er hielt einen nervös tänzelnden braunen Hengst
am Zügel.
„Emilia!“
Filomena kam aus Richtung der Ställe angerannt und warf sich ihr an den Hals.
„Vergiss mich nicht, wenn du frei bist!“, flüsterte sie an ihrem Ohr.
„Auf keinen
Fall! Wenn mir die Flucht gelingt, dann schwöre ich dir, dich nachzuholen.
Hier“, Papier raschelte und wechselte den Besitzer, „Ein Brief an meinen
Bruder. Vielleicht gelingt es dir, ihn heimlich abzusenden.“ Den offiziellen
Brief an Emanuele, indem sie ihre Abreise aus Sulmona erklärte, hatte sie
gestern an Beatrice übergeben.
Die beiden
jungen Frauen umarmten sich ein letztes Mal. Dann winkte Beatrice Emilia in die
Kutsche und gab den Befehl zum Aufbruch. Der Hauptmann schwang sich auf sein
Pferd, der Kutscher schnalzte und der Zug setzte sich in Richtung Tor in
Bewegung.
Drei Wochen
später, nach einer ereignisarmen Reise unter strengster Bewachung, fuhren sie
in Paris ein. Wie Filomena vorausgesagt hatte, hatte sich für Emilia unterwegs
nicht der Ansatz einer Fluchtmöglichkeit ergeben. Nicht einmal eine Maus hätte
den wachsamen Augen Hauptmann Grazianos entkommen können – obwohl sich Emilia
redlich Mühe gegeben hatte. Gleich am ersten Abend war sie aus dem zweiten
Stock einer Herberge in Pescara geklettert und hatte sich halsbrecherisch von
Sims zu Sims gehangelt. Nur, um unten direkt Hauptmann Graziano in die Arme zu
laufen. Er hatte an der Hauswand gelehnt und ihren Abstieg interessiert
verfolgt. “Ihr klettert wie eine Berggemse“, lautete sein liebenswürdiger
Kommentar. Dann hatte er sie zurück in ihre Kammer geführt. Am übernächsten
Morgen in Bologna hatte es Emilia mit einer List versucht. Sie hatte sich in
ihre Reisetruhe gezwängt und gehofft, mit ihrem zunächst unerklärlichen
Verschwinden genügend Verwirrung zu stiften, um in der Zwischenzeit tatsächlich
fliehen zu können. Graziano hatte sich auch hier nicht täuschen lassen, sondern
die Halberstickte höchstpersönlich aus ihrer ungemütlichen Lage befreit. Wieder
einen Tag später hatte sie der Magd, die ihr das Abendessen brachte, im
Austausch für ihre Kleidung einen
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