Das Hexenkreuz
wieder ein, was sie
schon früher hatte fragen wollen: „Wenn wir im Palazzo Colanna sind, wo sind
dann Vittoria und Francesco?“
„Vittoria
weilt mit ihren Eltern in Florenz zu Besuch bei Verwandten. Sie kehren
frühestens in einer Woche zurück. Francesco war hier, als du das Bewusstsein
noch nicht wieder erlangt hast. Er lässt dir die besten Genesungswünsche
ausrichten. Zurzeit ist er in Angelegenheiten des Ordens unterwegs“, erklärte
Emanuele knapp. Emilia warf ihm einen scharfen Blick zu. Sie kannte ihren
Bruder zu gut, um nicht zu wissen, dass er ihr etwas verschwieg. Doch sie
begnügte sich zu sagen: „Ich würde den Principe gerne sprechen und ihm für
seine erneute Gastfreundschaft danken. Sei so gut und bitte ihn nach seiner
Rückkehr, mich zu besuchen.“ Sie schob das leere Tablett zur Seite. „So“,
meinte sie dann und sah von einem zu anderen. „Nun will ich absolut alles
darüber erfahren, was sich in dem knappen Jahr seit meiner Entführung
zugetragen hat. Vor allem aber, wie es euch gelungen ist, mich aufzuspüren.“ In
diesem Augenblick sprang Paridi auf ihr Bett. „Paridi! Alter Gauner, du hast es
also auch geschafft“, stieß Emilia freudig aus. Sie nahm ihn auf und drückte
ihn an ihr Herz. Paridi ließ sich die Behandlung gnädig gefallen.
Emanuele lächelte:
„Aufs Stichwort. Wir haben es nämlich Paridi zu verdanken, dass wir dich
gefunden haben. Er hat uns zu dir geführt. Vermutlich hätte er das schon früher
getan, aber als er vor Monaten hier in Rom auftauchte, steckte eine Pfeilspitze
in seiner Seite. Das arme Tier schwebte lange zwischen Leben und Tod. Serafina
hat ihn gepflegt. Sobald er wieder laufen konnte, hat er sie immer wieder zur
Tür gedrängt. Das tapfere Tier führte uns dann schnurstracks nach Tivoli zu
Bramantes Anwesen. Als wir dort anlangten, lief uns eine junge verschreckte
Magd entgegen. Sie berichtete uns, was passiert sei. Am Abend zuvor hatte ein
großer Trupp Soldaten, angeführt vom Herzog von Pescara und seiner Mutter
Beatrice, Bramantes Anwesen gestürmt. Die Dienerschar ist geflohen, doch die
Soldaten haben sich bis zum letzten Mann gegenseitig niedergemetzelt. Man fand
Bramante und deinen Gemahl, den Herzog, in der Halle. In jedem steckte der
Degen des anderen. Es tut mir leid, dass du es so erfahren musst, Emilia.“
„Carlo ist
tot?“ Emilia hatte die letzten Monate kaum an ihren Gemahl gedacht. Unwillkürlich
suchte ihr Blick die Wiege. Ihr kleiner Sohn würde seinen Vater also niemals
kennenlernen. „Vielleicht ist es besser so. Und Beatrice?“, wagte sie die Frage
zu stellen, die sie bisher gemieden hatte.
Emanuele und
Serafina wechselten daraufhin einen seltsamen Blick. Emanuele räusperte sich
und sagte vorsichtig: „Wir haben Beatrice gefunden, jedenfalls das, was noch
von ihr übrig war…“
„Was soll
das heißen?“
Ihr Bruder
holte tief Luft, als würde er Anlauf: „Das soll heißen, dass wir nur noch ihren
Kopf gefunden haben. Francesco hat ihn entdeckt. Er hing im Geäst eines Baumes
im Park. Er hat ihn selbst herabgeholt.“ Emanuele zögerte.
„Und weiter?
Das war noch nicht alles, oder?“
„Nein… Als
wir mit dir abgezogen sind, ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen. Auf einem
Hügel vor uns erschienen plötzlich die Silhouetten zweier riesiger Katzen. Es
waren Tiger. Paridi war bei ihnen. Serafina hat einen sofort wiedererkannt. Sie
behauptete, der gestreifte Tiger hieße Anil und gehörte einem Ägypterfürst, dem
ihr auf eurer Flucht begegnet seid. Es sah beinahe so aus, als wollten diese
beiden Tiere dich verabschieden und dir ihre Referenz erweisen.“
Emilia
nickte. „Der zweite Tiger war Morgane. Sie gehörte Graf Bramante, aber ich habe
sie heimlich freigelassen. Sie hat also einen Beschützer gefunden.“
„Francesco vermutet,
dass einer der Tiger Beatrice getötet hat. Er sagt, dass diese Katzen die
Angewohnheit haben, ihre Beute in Bäumen zu verstecken, damit sie ihnen kein
anderer Räuber wegnehmen kann.“
Dann
hatte sich die Prophezeiung also erfüllt, dachte Emilia. Beatrice war tatsächlich durch eine
Katze gestorben... Dabei hatte sie ihr Schicksal selbst herbeigeführt,
überlegte Emilia weiter: Wenn Beatrice nicht danach getrachtet hätte, sie mit
ihrem Sohn zu verheiraten, wären Serafina und sie niemals aus Santo Stefano
geflohen und Serafina hätte Ferrantes Tiger niemals gerettet. Sie selbst wäre
nie Bramante begegnet und hätte seinen Tiger freigelassen. Wie hatte Bramante
zu
Weitere Kostenlose Bücher