Das Hexenkreuz
Gemahl einander innig
zugetan waren, war für jedermann offensichtlich. Sie saßen gemeinsam mit dem
alten Conte und ihren Begleitern am Ehrentisch, wobei man sich den Scherz
erlaubt hatte, Donna Elvira direkt neben dem Pfarrer zu platzieren. Seine verdrießliche
Laune hinderte ihn jedoch nicht daran, dem Festmahl tüchtig zuzusprechen. An
seiner anderen Seite thronte Tante Colomba, mager und spitzgesichtig wie stets
und stolz wie eine Königin. Die Kinder waren längst verschwunden und tobten
irgendwo mit den Dorfkindern herum. Wenn sich Emilia und Sergej nicht gerade an
den Händen hielten oder angeregt mit den Ihren unterhielten, dann mischten sich
die beiden unter die Tanzenden und wirbelten über den Platz.
Zwischendurch
besuchte Emilia zum wiederholten Male ihr hochbetagtes Pferd Dante, um ihm
einen besonderen Leckerbissen zuzustecken. Auf dem Weg dorthin holte Serafina
sie ein. Ihre Haube saß schief und ihre Wangen waren erhitzt vom vielen Tanzen.
„Ich komme mit. Sonst bekomme ich heute gar keine Pause mehr.“ Die hübsche
Serafina war als Tanzpartnerin unter den jungen Burschen des Dorfes sehr
begehrt. Zu ihrem Erstaunen trafen sie Donna Elvira in der Box an. Sie rieb
Dantes rheumageplagte Gelenke mit einer grünlichen Salbe ein. Der Geruch von Minze
und Kampfer hing in der Luft. Dante begrüßte seine Herrin freudig wiehernd.
„Seid Ihr glücklich?“,
begrüßte Donna Elvira Emilia mit einem Lächeln.
„Sehr.“
Emilia streichelte Dante, der mit einem entzückten Schnauben seinen Kopf an sie
schmiegte. „Übrigens, was ich schon lange habe tun wollen…“ Emilia griff an
ihren Hals und nahm die Kette mit dem Kreuz ab, die ihr Serafina einst am Tag
ihrer Flucht überlassen hatte. „Hier hast du sie zurück, Serafina. Ich brauche
sie ja jetzt nicht mehr…“
„Danke“,
sagte Serafina schlicht und nahm sie an sich. Sie betrachtete das kleine
silberne Kreuz, als begrüßte sie einen alten Freund. Plötzlich stutzte sie und
hielt es näher an die Stalllaterne. Erstaunt rief sie: „Aber, das ist ja gar
nicht mein Kreuz!“
„Wie? Aber
natürlich ist das deine Kette. Welche sollte es denn sonst sein?“, reagierte
Emilia irritiert.
„Hier, sieh
doch! Auf der Rückseite des Kreuzes fehlt die kleine Einkerbung, die meine
Mutter damals hinein gemacht hatte.“
„Zeigst du
sie mir, bitte?“, meinte Elvira. Sie warf nur einen kurzen Blick darauf. „In
der Tat, dies ist ein anderes Kreuz.“
„Aber wie
kann das sein? Rosa, meine Zofe in Sulmona hat mir die Kette heimlich
zurückgegeben. Das war kurz nachdem mir dieses Weib Beatrice alle meine
Habseligkeiten gestohlen hatte!“
„Vermutlich
wollte dir diese Rosa nur etwas Gutes tun, indem sie dir eine fast identische
Kette geschenkt hat.“
„Aber dieses
Kreuz hat mich die ganze Zeit über beschützt. Ich weiß es genau! So etwas spürt
man doch. Wie kann das sein?“, rief Emilia verblüfft.
Donna Elvira
lächelte sanft. „Der menschliche Geist ist ein Gaukler, Emilia. Er spielt mit
uns und wuchert stets mit der Münze, mit der wir ihn füttern. Du hast fest daran
geglaubt, dass diese Kette dich beschützt, also hat der Zauber gewirkt. Dieses
Kreuz hier ist so gut wie jedes andere.“ Sie wandte sich ihrer Tochter zu: „Auch
deiner ursprünglichen Kette, Serafina, haftete kein eigener Zauber an. Er
konnte sich überhaupt nur durch deinen unbedingten Glauben daran entfalten.“
„Dann hast du
mich getäuscht?“ Fassungslos starrte Serafina ihre Mutter an.
„Aber nein.
Wie kommst du darauf? Hat das Kreuz denn nicht auch bei dir all die Jahre über
gewirkt? Kannst du das etwa leugnen?“
Serafina
biss sich fest auf die Lippe. „Nein, du hast Recht, Mutter. Hier“, sie reichte
sie Emilia zurück. „Behalt du sie… als deinen Glücksbringer.“
Der neue Morgen kündigte sich bereits an, als sich Emilia und
Sergej in ihr Gemach zurückzogen. Es handelte sich um ihr früheres
Kinderzimmer, doch Emilia erkannte den Raum nicht wieder. Elvira hatte es um das
angrenzende Gemach erweitert. In den hohen schmiedeeisernen Kandelabern
brannten ganze Bündel von weißen Kerzen und verströmten ein warmes Licht.
Emilia hatte Elvira zwar grob ihre Vorstellungen aufgezeichnet, doch sie hätte
nie gedacht, dass Serafinas Mutter ihre Wünsche derart meisterlich umsetzen würde.
Die soliden Möbel aus poliertem Walnussholz waren von einheimischen Handwerkern
gefertigt worden und bildeten einen vollkommen natürlichen Kontrast zu den
grauen
Weitere Kostenlose Bücher