Das Hexenkreuz
Sie
mochte nicht mehr darauf verzichten. Natürlich hatte Sergej sie schon einige
Male für ein oder zwei Wochen alleine gelassen, um seinen Geschäften
nachzugehen, doch meistens hatte Emilia ihn dabei begleitet. Es machte ihr
Spaß, gemeinsam ihre Manufakturen und Kontore zu besuchen, und sie hatte von
Sergej viel über das Kaufmannsgeschäft gelernt. Aber heute begab sich Sergej
nicht auf eine Geschäftsreise. Er zog in den Krieg, wo mannigfaltige Gefahren
auf ihn lauerten. Emilia hatte durch Prinz Galitzin, ein Freund ihres Gatten
erfahren, dass die Türken als besonders grausame und erbarmungslose Kämpfer
galten. Doch Emilia besaß zu viel natürlichen Mut, um nun zu verzagen. Sie
wollte nicht, dass Sergej als letzte Erinnerung den Anblick seiner weinenden
Frau mit auf den Weg nahm. Sie küssten sich ein letztes Mal, bis ihre Lippen
brannten. Dann schwang sich Sergej auf seinen herrlichen schwarzen Hengst, ein Geschenk
Emilias. Er schnalzte und das Tier setzte sich in Bewegung. Am Tor hielt er
nochmals inne und wandte sich um. Er winkte ihr mit einem zuversichtlichen
Lächeln zu, dann gab er seinem Pferd die Sporen. Der Hengst stieg und stieß
dabei ein unternehmungslustiges Schnauben aus. Dann stob er mit seinem Reiter
davon.
Serafina
erwartete Emilia auf dem Treppenabsatz. Sie sagte kein Wort, sondern führte sie
in den kleinen Salon. Dort erst ließ Emilia ihren Tränen freien Lauf.
Sergejs
Briefe trafen bald regelmäßig ein. Seine Zeilen enthielten niemals ein Wort über
die Schrecken des Krieges, sondern handelten stets nur von seiner Liebe zu ihr
und den Kindern. Er schmiedete darin phantastische Pläne für ihre Zukunft,
legte Zeichnungen seiner neuesten technischen Ideen bei oder er schilderte ihr
die Schönheit der russischen Krim. Manchmal legte er auch Noten dazu, die sie
für ihn aufheben sollte, weil er ihr diese Musik nach seiner Rückkehr
vorspielen wollte. Dann wieder fand Emilia ein von ihm eigenhändig verfasstes
Gedicht.
Im fünften
Monat von Sergejs Abwesenheit ließ sich der russische Botschafter Prinz
Galitzin bei ihr anmelden. Emilia war dem Freund ihres Mannes schon einige Male
begegnet; kurz vor Sergejs Abreise waren sie noch bei ihm in der russischen
Botschaft in der Via della Scrofa eingeladen gewesen. Ihr Herz schlug bei der
Ankündigung seines Besuches sofort schneller.
Der Prinz
betrat den Salon mit militärischem Schritt. Emilia genügte ein Blick auf die
ernste Miene des Botschafters, um das Schlimmste zu befürchten. „Setzt Euch,
Herr Botschafter. Kann ich Euch irgendetwas anbieten?“, versuchte Emilia
Fassung zu wahren. Doch Galitzin schüttelte nur den Kopf. Er schritt zum Kamin
und baute sich feierlich davor auf. Mit einem Nicken entließ Emilia ihren Majordomus
Donatus, der den Besucher hereingeführt hatte. Fürst Colonna, Francescos Vater,
hatte ihr damals seinen erfahrenen Majordomus geradezu aufgedrängt, nachdem er
erfahren hatte, dass die Herzogin Emilia beabsichtigte, ihren eigenen Haushalt
zu gründen.
Galitzin
indessen hatte mit Schrecken den gewölbten Leib der Fürstin registriert. Er
hatte gehört, dass sie ein Kind erwartete, doch den sichtbaren Beweis so vor
sich zu haben erschütterte ihn. Die Sekunden verstrichen, während die Fürstin
ihn nicht aus den Augen gelassen hatte. Er las darin, dass sie die furchtbare
Wahrheit längst erraten hatte. Mein Gott, was für eine Frau, schoss es
ihm durch den Kopf. So schön, so stolz - würdig die Zarenkrone zu tragen!
„Wie ist er
gestorben?“, fragte Emilia leise.
Galitzin
räusperte sich geräuschvoll. Auf diese Frage fand er sich nicht vorbereitet. Er
war gekommen um der Fürstin mitzuteilen, dass ihr Gemahl den heldenhaften
Soldatentod gestorben war und um ihr die Beileidswünsche der Zarin Katharina zu
überbringen. Unmöglich, dieser schwangeren Frau die ganze Wahrheit zu enthüllen.
„Sprecht!“,
forderte sie ihn nochmals auf und ihre Stimme war hart wie Adamant.
„Nun…“,
begann der versierte Diplomat peinlich stotternd. Er fing sich: „Der Fürst
wollte einigen Kameraden zu Hilfe eilen und geriet dabei in einen feigen
Hinterhalt der Türken. Er kämpfte heldenhaft, doch mehr Feinde strömten herbei und
warfen sich in die Schlacht. Fürst Wukolny, und mit ihm alle seine Männer,
wurden niedergemacht.“ Galitzin verschwieg, dass man den Fürsten und seine
Soldaten nur anhand ihrer Uniformen hatte identifizieren können. Die Türken
hatte ihre Köpfe mitgenommen und die Körper mit ihren
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