Das Hexenkreuz
Säbeln zerstückelt. Diese
Barbaren hatten es gar gewagt, der allererlauchtesten Zarin Katharina den Kopf
des Fürsten zu übersenden! Galitzin verspürte plötzlich große Lust auf einen
doppelten Wodka und bedauerte es nun, etwas zum Trinken abgelehnt zu haben. Er
schluckte kaum merklich und sah vorsichtig auf die Fürstin. Sie hatte den Schlag
erstaunlich gefasst entgegengenommen. Nur ihr schönes Gesicht, in dem die großen
Augen schimmerten wie blaue Seen, schien eine Spur blasser geworden zu sein.
Bevor ihm
die Fürstin eine weitere Frage stellen konnte, fuhr er hastig fort: „Die Zarin
hat Euren Gemahl nach Sankt Petersburg überführen und ihn dort mit allen Ehren
bestatten lassen.“ Jedenfalls das, was noch von ihm übrig war, ergänzte
er im Geiste . Der Botschafter nahm nun Haltung an. „Ich habe die hohe Ehre,
Euch im Namen der Zarin Katharina dies hier zu überreichen.“ Er zog ein
ledernes Etui aus seiner Jackentasche und schlug es mit übertriebener Geste
auf. Auf dunkelblauem Samt ruhte dort das große Band des Ordens des St. Georg.
„Fürst Wukolny hat großen Mut bewiesen. Unsere durchlauchtigste Zarin Katharina
legt Wert darauf, dass Ihr diese letzte Auszeichnung der Tapferkeit Eures
Gemahls erhaltet. Darüber hinaus schenkt Euch die Zarin ein Dorf mit
fünftausend Seelen. Sie ist betrübt über Euren Verlust und bekundet Euch durch
mich ihr tief empfundenes Beileid. Russland hat einen großen Mann verloren.
Ihre Majestät hat den Wunsch geäußert, Euch an ihrem Hof in Sankt Petersburg
empfangen zu wollen. Ihre Durchlaucht möchte die Witwe einer der größten
Feldmarschälle Russlands kennenlernen.“
Emilia hatte
den Orden nur flüchtig zur Kenntnis genommen und seither jegliches Interesse an
dem Botschafter verloren. Seine Worte zogen ungehört an ihr vorüber. Sie hatte
sich in sich selbst zurückgezogen, um sich ganz der Erinnerung an Sergej
hinzugeben. Seit dem Tag, als der Brief der Zarin eingetroffen war, hatte sie
gewusst, dass es so kommen würde.
Prinz
Galitzin stand noch eine Weile unbeachtet herum, dann wurde er sich seiner
Überflüssigkeit bewusst. Er hielt noch immer das Etui mit dem Orden in seiner
Hand. Er legte es vorsichtig auf dem Kaminsims ab und verabschiedete sich, ohne
deshalb mehr wahrgenommen zu werden. Im Grunde war er froh, derart glimpflich
davongekommen zu sein. Er kannte das Temperament der Italienerinnen, im Zorn wie
im Schmerz. Insgeheim hatte er sich schon auf fliegende Vasen eingerichtet. Er
hielt sich eine junge römische Geliebte und wusste, wovon er sprach.
Als Donna
Elvira eine halbe Stunde später aus Santo Stefano eintraf und Emilia ohnmächtig
auf dem Teppich im kleinen Salon vorfand, fürchtete sie, zu spät gekommen zu
sein.
XV
Tagelang kämpfte Donna Elvira um das Leben von Mutter und
Kind. Den Kampf um das Kind verlor sie, doch es gelang ihr schließlich, Emilia
zurück ins Leben zu holen. Wochenlang kämpfte Emilia gegen unsichtbare Dämonen,
die ihr Bett umschwebten und sie mit dunklen Flügeln streiften. Immer wieder
glitt sie ins Nichts hinab, um dort fern von irdischem Leid zu existieren.
Manchmal glaubte sie, dort Sergej und Francesco zu begegnen, doch
merkwürdigerweise entglitt ihr Sergej dort mehr und mehr, während Francesco ihr
näherzukommen schien. Manchmal war ihr, als könnte sie ein weiches Gewicht an
ihrer Seite spüren, feuchte Küsse auf ihrer Wange und kleine tastende Finger.
Ihre Lippen bewegten sich, wollten ein Wort formen, doch es gelang ihr nicht. Dann
war das Wort da, obwohl sie zunächst nicht wusste, was es bedeutete:
„Ludovico“, flüsterte sie und als Echo erklang sofort ein freudiges „Mammina“,
immer und immer wieder „Mammina“ und dazu jede Menge feuchte Küsse. Ganz
plötzlich wusste sie, dass es diesen wunderbaren Grund gab weiterzuleben, dass
Ludovico ihr Band zurück in das Leben war. Da war noch jemand, der ebenso pure
Freude verströmte, und wieder war da eine Erinnerung, ein Name: „Sascha“,
flüsterte sie und versuchte die Augen zu öffnen. Doch diese erste Anstrengung
war zuviel für sie gewesen und sie sank zurück ins Vergessen. Doch der nächste
lichte Moment folgte. Mehr und mehr kehrte ihre Erinnerung aus dem dunklen
Schatten zurück. Noch aber blieb die letzte Türe vor ihr verschlossen. Noch
gewährte ihr der Verstand einen Aufschub, eine Gnadenfrist, um weitere Kräfte
zu sammeln, bevor sie den erneuten Schlag empfing: Den Verlust von Sergejs
Kind.
Zunächst
wurde Emilia
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