Das Hexenkreuz
halbtot am Strand gefunden und gerettet. Sie erklärten mir,
dass ich viele Wochen ohne Bewusstsein gewesen wäre. Als ich endlich erwachte,
hatte ich mein Erinnerungsvermögen verloren und wusste nicht mehr, wer ich war.
Das erklärt auch, warum ich so lange nichts von mir habe hören lassen.“
Emilia hatte
ihm mit angehaltenem Atem gelauscht. Sie hatte das Bild förmlich vor Augen: Den
tropischen Sturm, das zerschmetterte Schiff und den einsamen, bewusstlosen Mann
am Strand. „Wann habt Ihr Euer Gedächtnis wiedergefunden?“, fragte sie ruhig.
„Sehr viel
später. Mir gefiel es in dem Dorf und ich hatte keine Eile, es zu verlassen.
Die Menschen dort führen ein hartes, aber erfülltes Leben. Sie leben von dem,
was sie im Meer fangen oder selbst anbauen und den Überschuss verkaufen sie auf
dem Markt. Ich schloss mich ihrem einfachen Leben an. Ich hatte zwar mein
Gedächtnis verloren, aber nicht meine Fertigkeiten. Bald unterrichtete ich die
Kinder im Lesen und Schreiben. Ich fuhr auch mit den Fischern aufs Meer und
trug so zu meinem Lebensunterhalt bei. Die Fischer nannten mich Pierre. Eine
ältere Witwe, Dame Adelaide Tascher, hatte mich in ihrem kleinen Häuschen freundlich
aufgenommen. Ich half ihr bei allen schweren Arbeiten, hackte Holz und holte
das Wasser aus dem Brunnen. Jeden Sonntag besuchten wir gemeinsam die Messe und
irgendwann ertappte ich mich dabei, wie ich anfing, den Priester bei seinen
liturgischen Handlungen zu imitieren. Ihr könnt Euch vorstellen, dass mich dies
irritierte und nachdenklich stimmte. Dann eines Morgens, Dame Adelaide und ich
befanden uns auf dem Wochenmarkt, um unsere Ware feilzubieten, stand plötzlich
ein älterer Priester vor mir. Er starrte mich ungläubig an und stammelte:
„Pater Colonna? Nein, ist das zu fassen. Seid Ihr es denn wirklich?“
Und da ich
nur zurückstarrte, rief er: „Aber erkennt Ihr mich denn nicht? Ich bin es doch,
Euer Mitbruder, Pater Baptista. Durch mich seid Ihr dem Orden beigetreten. Wir
haben jahrelang Seite an Seite in Rom gewirkt.“ Ich muss zugeben, dass ich
einen unausgeglichenen Augenblick lang geneigt war, ihn abzuwimmeln. Es wäre
für mich ein Leichtes gewesen zu behaupten, dass ich Pierre Tascher wäre, ein
einfacher Fischer von der Insel. Doch so viel ehrliche Betrübnis hatte in
seiner Stimme gelegen, dass ich Pater Baptista nicht enttäuschen konnte und ihm
ehrlich antwortete, dass ich ein Schiffbrüchiger sei, der vor Monaten sein
Gedächtnis verloren habe. Darum würde ich seine Frage auch nicht wahrheitsgemäß
beantworten können.
Daraufhin
brach er in glückliches Lachen aus und umarmte mich freudig. „Aber natürlich
seid Ihr Francesco Colonna, und wie ich ein Angehöriger des Ordens des Heiligen
Ignatius. Beim Herrn“, rief er, „Dass Ihr dieses furchtbare Unglück überlebt
habt! Keine Seele hat dieses Unglück überlebt und so haben wir angenommen, auch
Euch für immer verloren zu haben. Was wird sich Euer Vater über die Nachricht,
dass Ihr am Leben seid, freuen! Was für ein Glück, nein, ein Wunder! Da bin ich
kaum auf der Insel angekommen und schon führt Gott mich zu Euch. Kommt,
begleitet mich in unsere Niederlassung und dann werdet Ihr mir alle Eure
Abenteuer berichten.“ Francesco hielt mit seiner Erzählung inne, da er gewahr
wurde, dass Emilia die Augen geschlossen hielt. Er nahm an, dass sie
eingeschlafen war. Er machte Anstalten sich leise zu erheben, als sie mit
geschlossenen Lidern murmelte: „Nein, bitte verlasst mich noch nicht. Warum
habt Ihr aufgehört zu sprechen?“
„Weil ich dachte,
dass Ihr eingeschlafen seid.“
„Nein, ich
höre Euch gern weiter zu. Sprecht.“
„Nun, sehr
viel mehr gibt es da nicht zu berichten. Pater Baptista hatte mich
wiedergefunden und so kam ich nach Hause. Er erzählte mir alles, was er über
mich und meine Familie wusste. Durch ihn kehrten nach und nach alle meine
Erinnerungen zurück.“
Emilia
öffnete ihre Lider nur halb. Sie fixierte ihn. „Wenn ich Euch richtig verstanden
habe, so verbrachtet Ihr nur einige Monate bei den Fischern. Was habt Ihr
während der anderen beiden Jahre Eurer Abwesenheit gemacht?“
Francesco
ließ ein halbes Lächeln sehen. „Ihr seid in der Tat eine aufmerksame
Zuhörerin.“
„Zumindest
kann ich rechnen. Was verschweigt Ihr mir, Francesco?“
„Ich
verschweige nichts. Im Gegenteil, ich möchte Euch nicht mit meinen Geschichten
langweilen.“
Emilia
erwiderte nichts darauf, sondern begnügte sich damit, ihn
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