Das Hexenkreuz
ein Wunder zuteil. Als sie endlich die Gesichter an ihrem
Krankenbett unterscheiden konnte, ihren Bruder Emanuele in die Arme schloss und
Serafina und Filomena und Elvira, da führte ihr eine glückstrahlende Vittoria
jemanden zu, der eine erneute Ohnmacht in ihr auslöste: Francesco!
Emilia
traute ihren Augen nicht und wähnte sich erneut im Delirium. Alles um sie herum
drehte sich und sie fiel erneut in einen Abgrund. Donna Elvira flößte ihr einen
stärkenden Trank ein und irgendwann schlug Emilia ihre Lider auf. Francesco
blieb an seinem Platz. Nun nahm er sogar ihre Hand und sah sie auf eine Art an,
wie er sie noch nie zuvor angesehen hatte. „Francesco…? Seid Ihr es denn
wirklich, oder träume ich? Ihr seid nicht tot?“, flüsterte sie furchtsam, als
könnte ihre Frage bewirken, dass der junge Mann sich sofort wieder in Luft
auflöste.
„Nein, ich
bin es wirklich. Ich wurde gerettet, doch die Geschichte meiner Rettung ist
lang. Ich werde sie Euch erzählen, wenn es Euch wieder besser geht. Schlaft
jetzt, Ihr müsst wieder zu Kräften kommen. Ich werde morgen wiederkommen.“ Er
küsste ihre Hand und wollte gehen, doch Emilia hielt ihn fest. „Bitte bleibt,
bis ich eingeschlafen bin“, flüsterte sie. Tatsächlich verschlief Emilia Francescos
Besuch am nächsten Tag. Doch als er sie zwei Tage später erneut aufsuchte, fand
er die junge Frau zwar blass, aber aufrecht sitzend in ihrem Bett. Ihre Augen erschienen
ihm riesig, beinahe zu groß für ihr schmal gewordenes Gesicht. Sie sah
unglaublich jung und verletzlich aus. Durch Serafinas Mutter wusste Francesco,
dass Emilia noch nicht ihr volles Erinnerungsvermögen zurückerlangt hatte.
Donna Elvira wollte sie so behutsam wie möglich auf den Verlust ihres Kindes
vorbereiten. Sie fürchtete einen möglichen Rückschlag in das Nervenfieber, das
mit der Fehlgeburt einhergegangen war. „Am besten wäre es, wenn sie sich gar
nicht mehr daran erinnern würde“, hatte Elvira ihm bei dieser Gelegenheit
anvertraut. „Ich habe bereits die Gnade der Natur erlebt, die es den Müttern
erspart, diesen letzten, furchtbaren Schlag zu empfangen. Der Verlust ist für
das Bewusstsein einfach zu groß, so dass er in die tiefste Kammer der Seele
verbannt wird. Das arme Kind leidet genug am Verlust ihres Gatten.“
„Setzt Euch,
Francesco.“ Emilia zeigte auf den bequemen Sessel neben ihrem Bett, den
Serafina bei seinem Eintreten bereitwillig geräumt hatte. Ihr Taktgefühl war
sogar so weit gegangen, dass sie ohne Aufforderung das Schlafzimmer verlassen
hatte. Beim Hinausgehen bemerkte sie noch, mit welcher Zartheit Francesco
Emilias Hand aufnahm und sie küsste. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen.
Sehr leise schloss sie die Tür.
„Euch
scheint es schon viel besser zu gehen, Fürstin. Ihr ahnt nicht, wie sehr ich
mich darüber freue“, sagte Francesco, obwohl ihn gleichzeitig die schmale
Gestalt, die sich unter der Bettdecke kaum abzeichnete, aus der Fassung
brachte. Ob sie wohl ahnte, um wie viel näher sie dem Tod als dem Leben gewesen
war?
Emilia sah
mit Verwunderung, dass der Principe auf sein Priesterhabit verzichtet hatte und
die Kleidung eines gentil uomo trug.
„Ihr seid
mir noch die Geschichte Eurer wundersamen Errettung schuldig, Francesco“,
forderte ihn Emilia auf. Sie hatte ihm ihr klares Gesicht mit den schwarzen
Flechten, die beinahe zu schwer für den kleinen Kopf wirkten, zugewandt. Francesco
fuhr sich durch seine dichten kastanienbraunen Haare, als suchte er nach dem
passenden Einstieg für seinen Bericht. „Wundersam ist tatsächlich die richtige
Beschreibung. Denn ich wurde in der Tat zweimal errettet. Doch ich sollte der
Reihe nach beginnen. Damals, auf dem Schiff, hatten wir unser Ziel, die Küste
Martiniques, schon vor Augen, als sich der Himmel plötzlich verdunkelte und ein
merkwürdiges Tosen aufkam. Der Kapitän fing sofort an Befehle zu brüllen und
alle Matrosen erschienen auf Deck. Ich sah, wie sie sich bekreuzigten. Wir, die
Passagiere, wurden unter Deck verbannt. Beim Hinuntergehen bemerkte ich eine
riesige Windhose, schwarz wie der Leibhaftige, die sich direkt auf uns
zubewegte. Wir hatten keine Chance und das Schiff geriet mitten hinein. Wir
wurden von dem tropischen Sturm umhergewirbelt, als hätte ein Riese unser
Schiff gepackt und würde es im Kreis umherschleudern. Das Schiff barst und etwas
Schweres traf mich am Kopf. Ich kam erst wieder in dem kleinen Dorf La Trinité zu mir. Einheimische
Fischer hatten mich
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