Das Hexenkreuz
Erlangung ihrer eigenen Gesundheit zu
besuchen, doch dann hatten sich Ludovico und Sascha nacheinander Keuchhusten
eingefangen. Emilia hatte zuerst einen riesigen Schrecken bekommen, da sie ein
erneutes Aufflackern des Purpurfiebers befürchtet hatte. Und nun wollte sie das
Haus nicht verlassen, solange sich Emanueles Paket in ihrer Obhut befand.
„Ich befinde
mich just auf der Rückreise von Santo Stefano, wo ich ihm gemeinsam mit meiner
lieben Gemahlin einen Besuch abgestattet habe.“
„Warum hat
deine Gemahlin dich dann nicht begleitet? Ich hätte sie gerne kennengelernt“,
wunderte sich Emilia.
„Meine
Gemahlin bedauert sehr, diese Gelegenheit verpasst zu haben, aber sie ist guter
Hoffnung. Leider haben wir darüber erst Klarheit gewonnen, als wir uns bereits
in Santo Stefano aufhielten. Meine Gattin hat es deshalb vorgezogen mit unserer
Dienerschaft auf direktem Weg nach Venedig in unseren Palazzo zurückzukehren.
Ich pflege Kontake zu Geschäftspartnern in Rom und wollte die Gelegenheit
wahrnehmen, diese durch einen Besuch zu vertiefen. Als Vater vernahm, dass ich
den Rückweg über Rom nehmen würde, hat er mich gebeten, dir diesen Brief zu
überbringen. Hier ist er.“ Damit zog er ein dickes Kuvert aus seiner
Jackentasche. Emilia riss es ihm begierig aus den Händen und erbrach das
Siegel. Ihrem Vater schien es gut zu gehen. Nach einer kurzen launigen
Schilderung seines eigenen Befindens, folgte eine ausführlichere über den
gesundheitlichen Zustand seiner Zuchtböcke, gefolgt von jenem seiner Schwester
Colomba, was eine Menge über seine eigentlichen Prioritäten verriet. Deine
Tante verhält sich zänkischer denn je und mischt sich ungefragt überall ein.
Dank deiner großzügigen Zuwendungen, liebe Tochter, ist unser Tisch nun immer
reichlich gedeckt, und so ist sie meist damit zugange, sich selbst das Maul zu
stopfen. Gott ist mein Zeuge, sie muss ebenso viele Mägen besitzen wie eine
Kuh, denn man kann beim besten Willen nicht erkennen, wo all diese
Nahrungsmittel ihr Ende finden .
Am Ende
folgte noch ein Passus über ihren Bruder Piero, in dem ihr Vater sie
eindringlich bat, diesem nicht bis ans Ende ihrer Tage zu zürnen: Er bemüht
sich wirklich, ein besseres Leben zu führen. Seine neue Gattin scheint in
dieser Hinsicht einen guten Einfluss auf ihn auszuüben. Ich hatte die Ehre,
ihrem Vater vor langer Zeit in Rom zu begegnen und habe ihn als wahren gentil
uomo in Erinnerung. Die Familie ist ehrenhaft und über die Grenzen Venedigs hinaus
sehr angesehen. Nun, da Piero im Begriff steht eine eigene Familie zu gründen,
hat für ihn die Familie an Bedeutung gewonnen. Wir kennen beide dein
Temperament und deinen sturen Kopf. Emilia stieß an dieser Stelle ein
Schnauben aus: „Ha, von wem ich das wohl habe!“ Dann nahm sie die Lektüre
wieder auf, … daher bitte ich dich als dein alter Vater inständig darum,
deinem Bruder keinen zu harschen Empfang zu bereiten. Gib ihm die Gelegenheit
dir zu zeigen, dass er sich gebessert hat . Danach folgten noch die
unerlässlichen Ratschläge und Ermahnungen, die ein jeder Vater glaubt absondern
zu müssen, und selbstverständlich die besten Wünsche von allen Bewohnern Santo
Stefanos. Der Brief schloss mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen im kommenden
Sommer.
Emilia
faltete den Brief sorgfältig zusammen. Was sollte sie tun? Piero hinauskomplimentieren,
wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte? Oder ihm wenigstens für diese Nacht
Logis gewähren? Während sie las, hatte Piero sich erhoben und war an eines der
Bücherregale getreten. Er tat so, als interessierte er sich für die lnschriften
auf den ledernen Einbänden, doch tatsächlich hatte er seine Schwester nicht aus
den Augen gelassen. Emilia entging seine Anspannung nicht. Vielleicht hat Vater
doch Recht, dachte sie und er bereut seine Taten. Eine andere Stimme meldete
sich und flüsterte ihr zu, dass es sich hier um Piero handelte! Der Piero, den
sie kannte, kannte keine Skrupel. Während sie noch mit sich haderte, wurden die
beiden Flügel der Bibliothekstür mit Schwung aufgestoßen und die schmale
Gestalt Vittorias, gewandet in ein elegantes samtbraunes Reitkostüm erschien.
Fröhlich schwenkte sie ihre Gerte und rief: „Wir sind da! Überraschung! Jetzt
ist Schluss mit Trübsal. Ich habe dir ein wunderbares Pferd mitgebracht. Ein
Vollblut vom Feinsten von unserem Gestüt! Du musst es dir unbedingt sofort
ansehen. Morgen satteln wir die Pferde und los geht’s. Freust du dich, uns
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